Inwieweit unterliegen designrelevante Fragestel-lungen einem historischen Wandel? Welche Rolle spielen Moden, Trends und Stile im Rahmen kommu-nikativer Prozesse? Welchen Einfluss zeigen tech-nologische, wirtschaftliche und weltanschauliche Entwicklungen auf aktuelle Formen der Gestaltung? Welche Rolle spielen ästhetische Praxen im Rahmen sozialer Auseinandersetzungen? Gibt es einen guten und einen schlechten Geschmack? Was befähigt uns zu Geschmacksurteilen? Wodurch ist ein bestimmter Geschmack irgendwann mein persönlicher Geschmack geworden? Wo liegen die Grenzen einer Geschmacksfamilie? Woher wissen wir, was zur Familie gehört? Ändert sich unweigerlich mein Blick auf die Welt durch die Veränderung der Zeichen in meiner Umwelt?
Wir geben uns selbst und unserer Umgebung eine Form, um uns unserer Absichten zu versichern. Wir erleben uns so, wir wir erscheinen und wahrgenommen werden. Selbst in unserem Körperausdruck zeigen wir, wem wir uns zugehörig fühlen. Um von anderen Menschen, als jemand mit besonderen Vorstellungen, Wünschen und Begehrlichkeiten wahrgenommen zu werden, müssen wir eine für uns passende Form finden und diese zum Ausdruck bringen. Die Güter, die den persönlichen Stil repräsentieren, nützen wir, um uns von Anderen abzugrenzen, aber auch, um uns mit Anderen zu verbinden. Damit Gesellschaften gemeinsame Ziele verfolgen können, bedarf es einer Zeichensetzung auf die sich die Mitglieder beziehen können und die den herrschenden Vorstellungen Ausdruck verleiht. Unsere Beziehung zu unseren Objekten erlaubt uns die Bevorzugung bestimmter sinnlicher Erfahrungen.
Vielfach wurde der Versuch unternommen eine gewisse stilistische Kontinuität herzustellen. Dies geschieht, indem nach einer Selbstähnlichkeit bestimmter Gestaltungsmuster durch Versuche der Variation eines Grundthemas gesucht wird. Die Beobachtung, dass eine herausragende Formfindung Anklang findet, animiert andere diese zu kopieren und zu modifizieren. Es besteht ein stetiger Wettbewerb unterschiedlichster Ausdrucksformen auf Geltungsmacht. Es wurde deshalb immer wieder nach Möglichkeiten gesucht, die Vielfalt zu unterdrücken um einer bestimmten Form den Vorrang einzuräumen.
Seitdem Menschen an den Fortschritt glauben, erwarten sie auch eine permanente ästhetische Erneuerung. Zur Avantgarde zählen politische und künstlerische Bewegungen, zumeist des 20. Jahrhunderts, die eine starke Orientierung an der Idee des Fortschritts gemeinsam haben und sich durch besondere Radikalität gegenüber bestehenden politischen Verhältnissen oder vorherrschenden ästhetischen Normen auszeichnen.
Wann immer Menschen mit der Freiheit der Wahl konfrontiert werden, mehrere Optionen zur Verfügung stehen, sind Hinweise, die eine Entscheidung erleichtern gefragt. In diesem Zusammenhang haben sich zwei Maßstäbe entwickelt, die sich auch miteinander verknüpfen lassen – Zeit und Wert. In natürlichen Zusammen-hängen bilden zeitliche Abläufe, das Kommen und Gehen, Werden und Verwandlung, Geburt und Tod den Rahmen, in dem sich alles bestimmt, allerdings asynchron und in unterschiedlichsten Rhythmen. Erst mit Hilfe von Wertzuweisungen erweisen sich zeitliche Abläufe als Orientierungshilfe.
Eine Frucht ist für uns meist dann von besonderem Wert, wenn sie reif und noch nicht von Verwesung gezeichnet ist. Manches erscheint dann am wertvollsten sobald es uns erstmals zur Verfügung steht. Anderes gewinnt erst mit der Zeit an Wert. Eine Mehrzahl der uns umgebenden Objekte verliert sehr rasch an Wert und kaum haben wir uns diese angeeignet, entsorgen wir sie auch schon wieder. Nur sehr wenigen Phänomenen gelingt es, in irgendeiner Form längere Zeitspannen zu überdauern.
Unterstützt werden diese beiden Orientierungs-maßstäbe – Zeit und Wert – durch gestalterische Maßnahmen, die entweder in Bezug zu bestimmten Phänomenen entwickelt, oder diesen direkt angeheftet werden. Um zum Beispiel die Bedeutung einer Person zu steigern, kann versucht werden diese mit Zeichen zu umgeben, die sie von anderen ab- und herausheben. Um eine solche angestrebte Positionierung auf Dauer zu stellen, wurden oft möglichst dauerhafte Zeichen entwickelt, um gegen das Vergessen anzukämpfen und die Erinnerung aufrecht zu halten.
Methoden der Auf- und Abwertung zielen auf eine Beeinflussung von Wertzuschreibungen. Es findet daher eine ständige Auseinandersetzung darüber statt, wie etwas zeitlich einzuordnen und zu bewerten ist. Was heute noch als bewahrenswertes Denkmal angesehen wird, kann morgen bereits als zerstörungswürdig eingestuft werden. Wir haben einen eigenen Tätigkeitsbereich entwickelt, den wir mit Kunst umreißen, der unsere Sehnsucht nach Zeitlosigkeit und Unsterblichkeit befriedigt. Während im konsumorientierten Alltag Moden und Ablaufdaten die Dauer von Wertzuweisungen signalisieren, wird in der Kunst die Zeit auf besondere Weise angehalten und verfügbar gemacht. Kunst nährt unsere Hoffnung auf ein ewiges Leben und liefert zugleich einen Raster, den wir benutzen können, um bestimmten Zeiträumen wiederum unterschiedliche Werte zuzuweisen.
Wie groß ist der Einfluss den jemand bei der Erstellung eines Artefakts ausübt und inwieweit überlässt er dabei die Entwicklung bestehenden Einflusssphären? Wer profitiert davon, dass es eine Kategorie Kunst gibt? Wer möchte dieser Sphäre zugerechnet werden und wer wird ausgeschlossen?
Literatur:
Anjan Chatterjee: The Aesthetic Brain. How We Evolved to Desire Beauty and Enjoy Art. 2014
Gernot Böhme: Ästhetischer Kapitalismus. 2016
Lambert Wiesing: Luxus. 2015
Daniel Martin Feige: Design. Eine philosophische Analyse. 2018
Wolfgang Ullrich: Die Geschichte der Unschärfe. 2009
Wolfgang Ullrich: Haben wollen. Wie funktioniert die Konsumkultur? 2006
Felix Stalder: Kultur der Digitalität. 2016
Robert Pfaller: Zwei Welten. Und andere Lebenselixiere. 2012
Norbert Bolz, David Bosshart: Kultmarketing. Die neuen Götter des Marktes. 1995
Stefan Majetschak: Ästhetik – zur Einführung. 2007
Zeitlichkeit
Formfamilien & Stil • Trends & Moden • Evolution der Formen • Beauty Contest • Das Unansehnliche • Das Zeitlose • Wirkungszusammenhänge • Form und Macht
Unterricht an der Fachhochschule Vorarlberg