Venedig – Sehnsuchtsort

Ein Sich-zur-Schau-Stellen

Heute fasziniert die Besucher:innen Venedigs eine Aura des Geheimnisvollen. Die Gassen im Nebel werden irgendwie als fremd empfunden. Wenn die Stadt in Dunst und Nebel versinkt, vermittelt sie einen subtil beunruhigenden Eindruck, eine Ahnung von Unbeständigkeit und Vergänglichkeit, von etwas Schrecklichem, Düsteren, indem Eigenschaften wie Habgier und Unbarmherzigkeit gekonnt verschleiert werden. Wie in einem Albtraum kommt alles aus dem Wasser und löst sich wieder in ihm auf. In einer Atmosphäre der Abgeschiedenheit ergreift uns eine Aura von Melancholie, eine Mischung aus Angst und Selbst-Sicherheit.

 

Venedig spielt als Kulisse in zahlreichen medialen Produkten eine wesentliche Rolle und hat so das Bild der Menschen von der Lagunenstadt in der Welt geprägt.

»Seit dem Mittelalter bietet der Karneval dem Volk die Möglichkeit, auf symbolische Weise und für eine begrenzte Zeit alle etablierten Hierarchien zwischen Herrschern und Beherrschten, zwischen Adel und gewöhnlich-em Volk, zwischen den Oberen und den Niederen, zwischen Kultivierten und Primi-tiven, zwischen dem Geistlichen und dem Weltlichen umzukehren. In diesem Rahmen werden die Verrückten zu Weisen, die Könige zu Bettlern, Realität und Fantasie lassen sich nicht

mehr auseinanderhalten. Eine symbolische Umkehrung der Verhältnisse, die fast immer damit endet, dass ein König als Stellvertreter auf Zeit für den eigentlichen Regenten gewählt wird.« Giuliano da Empoli

 

»Das Volk denkt, die Ähnlichkeit der Kleidung mache es zu Ebenbildern seiner Herren. Durch solch unschuldigen Scharfsinn betrogen, glaubt es, keinen Herren zu haben, sobald es eine Maske auf dem Gesicht trägt.« Giustiniana Wynne

»Das physische Gewebe der Stadt und die Morphologie ihres Standortes bilden ein Ganzes mit dem Netz ihrer Institutionen, der Ereignisse, deren Schauplatz sie war und ist, der Pläne und Hoffnungen, denen sie Raum geboten hat und die sie immer noch hervorzu-bringen vermag. Das Aufeinanderfolgen der

Generationen, die jenes Geflecht gewebt haben, ist wesensgleich mit ihm, erzeugt es und wird durch es erzeugt. Jede Stadt ist das Ergebnis einer endlosen Zahl von Entschei-dungen, die im Verlauf der Zeit getroffen wurden; Entscheidungen, die an jeder Gabelung ihrer Geschichte eine andere Richtung hätten weisen können.« Salvatore Settis • Der Bau einer Eisenbahnbrücke, die das Festland mit Venedig verbindet, hat die Stadt dem Massentourismus zugänglich gemacht. Die Stadt hörte auf, eine Insel zu sein. Damit erhöhte sich auch die Attraktivität, hier eine Wohnung zu besitzen, wodurch die Wohnungs-preise so anstiegen und so teuer wurden, dass viele Einheimischen sich auf dem Festland ein neue Wohnung suchen mussten. Die Wohnungen in Venedig  kaufen reiche Ausländer, die oft nur für kurze Zeit kommen. Über Internet-Börsen wie »airbnb« werden die Wohnungen in Venedig immer häufiger ertragreich an Touristen vermietet.

Die Faszination von Venedig ist das Resultat einer kontinuierlichen Vernetzung von Bestrebungen, von Blicken, Gesten, Kenntnissen und Erinnerungen.

Je häufiger und intensiver ein Erlebnis reproduziert und nachgespielt wird, desto mehr Echtheit kann es beanspruchen.

Vom 17. bis zum 19. Jahrhundert waren einige Pestdoktoren in Europa in charakteristischer Kleidung mit einer unverwechselbaren Schnabelmaske unterwegs. Sie wurden zum Sinnbild für die Pestärzte, die die Kranken behandelten. Auch heute noch ist die typische, langnasige »Pestmaske« in Venedig ein beliebter Karnevalsartikel.