Die Wohnungen in Venedig sind heute vielfach so teuer, dass viele Einheimischen sich auf dem Festland ein neue Wohnung suchen mussten. Die Wohnungen in Venedig kaufen reiche Ausländer, die oft nur für kurze Zeit kommen.

Venedig – Missbrauch

»No more visitors«

In Venedig feierte der merkantilistische Kapitalismus seinen ersten Triumph in Europa. Das kommerzielle System definierte auch das gesellschaftliche und kulturelle System der Stadt. Rationale Kalkulation und die abstrakten Beziehungen des Kommerzes führten zur Ausbildung eines ganz neuen Typus von Gesell-schaft – einer Waren- und Verbrauchergesell-schaft. Alle Aktionen werden von kaufmänn-ischen Interessen bestimmt. Lange hat man zu viel von Venedig den billigen Souvenirläden überlassen.

Ordnung suggerierende Fassaden: Geschäfte sind Vertrauenssache. Venedig ist eine der Geburtsstätten der Statistik. Jeder Bereich des gesellschaftlichen Lebens war streng geordnet.

Kommerz wurde zu einem Karneval, zu einer Unterhaltung, wurde das Objekt eines feierlichen Rituals.

 

Die Avantgarde der Luxusmarken sucht die innige Verbindung zur Stadt. Immer mehr internationale Konzerne versuchen Ihr Glück in Venedig, da sie dank der vielen Touristen auf lohnende Gewinne hoffen. Dadurch verliert Venedig langsam seinen Charakter, seine Einmaligkeit und verwandelt sich in eine Konsumzentrum, dass überall in ähnlicher Form auf zahlungskräftige Konsument:innen wartet. »Die spektakulären unter den vielen Baumaßnahmen, die die Stadt mit ihrem Lärm und ihrem Schmutz erfüllen, sind Derivate einer globalen Kultur der Luxusgüter, die hier zunehmend ein historisches Gelände mit Projekten bewirtschaftet, die überwiegend gar nichts mit der Geschichte der Stadt zu tun haben.« Der chinesische Tourist kann als venezianische Trophäe mit nach Hause nehmen, was in seiner Nachbarschaft produziert wurde. Die scharfe Kritik am Tourismus als Künstlichkeit und Lüge ist keine Errungenschaft einer kritischen Moderne, sondern hat ihn seit seiner Entstehung von Anfang an begleitet.

An den Gebots- und Verbotsschildern in einem urbanen Raum ist zu erkennen, mit welchen Problemen eine Region zu kämpfen hat.

Infofahnen beim Eingang ins »Venetian Resort Hotel« in Las Vegas

 

Als Kulisse und reduziert auf ein paar ikoni-sche Bauwerke mitsamt Kanälen verbreitet sich Venedig so auf der ganzen Welt, vom »Vergnügungspark Venedig« im Wiener Prater. (1895) über die kalifornische Stadt Venice (1905), das »Venetian Resort Hotel« in Las Vegas (1999) bis zur Wohnsiedlung »Viaport Venezia« in Istanbul (2011), vom »The Venetian Macao Resort« (2007) bis zur »New South China Mall« (2005) im chinesischen Dongguan, dem größten Einkaufszentrum der Welt, in dem es nicht nur eine als Venedig-Kopie gestaltete Abteilung, sondern auch solche im Stil von Paris und Amsterdam gibt.

»Do not feed the pigeons. They cause health problems and damage to the monuments.«

»Ganz so wie bei einem Menschen, der sein Gedächtnis verliert, zeigt sich auch bei Städten, wenn eine kollektive Amnesie sie befällt, die Neigung, die eigene Würde zu

vergessen. Die Gefahr des Verschwindens von Erinnerung schwebt über uns allen, sie bedroht das menschliche Zusammenleben, gefährdet die Zukunft, raubt der Gegenwart den Atem. « Salvatore Settis

»Diese Stadt, die sich nicht aus dem Gedächtnis löschen lässt, ist wie ein Gerüst oder Gitterwerk, in dessen Felder jeder einordnen kann, woran er sich erinnern will.«

Italo Calvino, Die unsichtbaren Städte, ital. Ausgabe 1972