Learning from Las Vegas
Bei näherer Betrachtung zeigen sich viele Parallelen zwischen den zentralen Themen von Las Vegas und den Aufgabenfeldern mit denen sich Corporate Design beschäftigt. Las Vegas besitzt ein klares Branding, ein umfassendes Corporate Design, es ist gebaute Werbung und rührt die Werbetrommel erfolgreich in aller Welt, es benutzt die modernste Medientechnik, es kann aber auch als lebendig-gewordenes Internet gesehen werden, als ein interaktives Netzwerk, verknüpfter Angebote mit einem einfachen und allgemein verständlichen User-Interface und einer reichen, personalisierten Angebotsfülle, rasch im Zugriff und unproblema-tisch in der Abrechnung. Wie kaum eine andere Stadt kann Las Vegas als Marken-artikel betrachtet werden. An das Glücksspiel lassen sich weitere Submarken nahtlos anfügen, denn das Glücksspiel ist für sich zwar ein starker Magnet bleibt aber am Ende nur Mittel zum Zweck. Wer den Spieltisch verlässt möchte entweder seinen Gewinn genießen und feiern oder sich über seinen Verlust hinwegtrösten. Je nach Spieleinsatz fällt auch das Nachspiel unterschiedlich heftig aus - vom Einkaufs- zum Drogenrausch, von der Abkühlung im Pool bis zur Erregung im Nachtklub.
1829 entdeckten einige spanische Abenteurer in der Mojave Wüste eine Oase, einen kleinen grünen Streifen. Sie nannten diesen Ort "Las Vegas", die Wiesen, die Auen. Ab diesen Zeitpunkt wurde diese Oase von Handelszügen angesteuert. Die ersten Besiedelungsversuche erfolgten durch Mormonen. 1855 kamen sie und nach 3 Jahren gingen sie wieder, weil sie die Gegend als unbewohnbar betrach-teten. Erst ein gewisser Octavius D. Gass errichtete als erster eine funktionie-rende Ranch, die das gesamte Gebiet des heutigen Las Vegas umfasste. Der entscheidende Durchbruch ereignete sich dann aber 1902, als die legendäre Eisenbahnlinie Union Pacific, aufgrund der zentralen Lage zwischen den bereits besiedelten Gebieten und dem vorhandenen Wasservorkommen, das Land kaufte. Die Station zog sofort viele Abenteurer, Spekulanten, Händler, Arbeiter, Goldsucher und Prostituierte an. 1905 versteigerte die Union Pacific das nicht mehr benötigte Land und die Stadt Las Vegas wurde offiziell gegründet. Las Vegas entwickelte sich anders als die sonstigen Eisenbahnstädtchen aufgrund des Boulder-Dam-Baus zwischen 1931 und 1935 (1947 umbenannt in Hoover Dam). Dieses Projekt zog eine Menge von harten Burschen an, die sich in ihrer Freizeit in Las Vegas vergnügten, mit illegalem Glücksspiel und mit Frauen. Bereits 1931 fällten Politiker jene Entscheidung die zum rasanten Aufstieg der Stadt führte. Das Glücksspiel, das sonst überall in Amerika verboten war, wurde in Nevada legalisiert und brachte der einzigen Stadt dieses Bundesstaates viele Besucher. 1941 wurde mit dem El Rancho der erste 'Ressort' Komplex am Strip eröffnet. Ein Ressort ist ein Hotel mit Pool, Casino, Restaurant und Shows in einem Verband. Nach diesem Muster wurden bald weitere Gebäude errichtet - das Last Frontier und 1946 das Flamingo von Bugsy Siegel. Mit Bugsys Engagement und seiner Ermordung 1947 begann auch das Mafia-Image der Stadt. Das Flamingo war der erste echte Luxusschuppen in Las Vegas der die Reichen aus Los Angeles anlocken sollte. Der Gangster Benjamin Siegel industrialisierte als erster das Glücksspiel und erfand, durch den Bau eines als Mississippidampfer getarnten Amüsier- und Bordellbetriebs, das Themengebäude. In den 50ern setzte der bis dahin stärkste Bauboom ein: Am Strip - entlang dem Las Vegas Boulevard - wurden die Ressorts Desert Inn, Dunes, Riviera, Sahara, Sands, Stardust und Tropicana errichtet. Davon getrennt entstand das Stadtzentrum rund um die Fremont Street, mit Union Plaza, Binion's, Horseshoe, Four Queens, Golden Nugget, Fizgeralds und Golden Gate Casino. In den 60ern stieg der legendäre Howard Hughes in das Geschehen ein und kaufte einige Hotels. Jahrelang versteckte er sich im sechsten Stock des Desert Inn. Ebenfalls in dieser Zeit wurde mit dem Circus Circus und dem Caesar's Palace eine neue Epoche eingeleitet: Zum ersten Mal wurden mit Hilfe von 'Themen Ressorts' nicht nur Spieler angesprochen sondern ganze Familien. 1976 wurde durch die Legalisierung des Glückspiels in Atlantic City das Monopol von Nevada gebrochen. Aber auch aufgrund der in Amerika herrschenden Rezession war Las Vegas bis Mitte der achtziger Jahre in einer Krise. Als sich die Wirtschaft erholte, ging die Entwicklung wieder unaufhaltsam weiter. Viele Hotels wurden renoviert oder erweitert und die Betreibergesellschaften entwickelten immer professio-nellere und komplexere Vergnügungssysteme. Mit dem Bau der Themenhotels Mirage (1989), Excalibur (1990), Treasure Island, Luxor und MGM Grand (1993) und den dazugehörenden Attraktionen für die ganze Familie, war der Wechsel zur umfassenden Urlaubsdestination vollzogen. Große Kongresse und Konferenzen bringen zusätzliches Leben in die Stadt, denn wo können so viele Menschen einfacher untergebracht werden. Und wer kommt nicht gerne in eine Stadt in der sich Geschäft und Vergnügen ideal miteinander kombinieren lassen. Las Vegas bietet inzwischen mit 130.000 Betten mehr Gestäunterkünfte als Paris, New York oder Los Angeles und diese Betten sind ganzjährig zu 90 Prozent ausgebucht. Manche der eingefleischten Spieler bedauern diese Entwicklung und befürchten, dass Las Vegas immer mehr zu einem Disneyland verkommt. Aber Las Vegas musste sein Angebot über das Glückspiel hinaus auch ausweiten, weil die ergiebigen Spieler ausblieben. Aufgrund der Wirtschaftsflaute in Asien kamen die „high roller“ nicht mehr, die an einem Abend mehrere Millionen Dollar einsetzten, und da nun fast überall in Amerika gespielt werden kann, frönen viele Spielsüchtige ihrer Sucht in ihrer Heimat.
Zuerst kamen nur die Spielbesessenen, dann die Spieler mit ihren Frauen. Heute kommen auch ganze Familien und Menschen aus allen Schichten und Ländern der Welt. In Gegensatz zu anderen Spielkasionos auf der Welt, sind hier nicht nur die Reichen und Wohlhabenden willkommen. Es gibt keinen Kleiderzwang. Hier kommen die Einsamen, die Lebenshungrigen und die Verzweifelten, die Reichen mit dem privaten Learjet und die Rentner, die jahrelang für ein Wochenende in Las Vegas gespart haben. Pro Jahr kommen mehr als 30 Millionen Besucher (1999 – 33,8 Mio) in die glitzernde Traumwelt Las Vegas. Sie bleiben im Schnitt 3,7 Tage sind durchschnittlich 45 Jahre alt und wollen zumindest 1500 Euro in Las Vegas lassen und davon 900 Dollar verspielen. Nur fünf Prozent der Besucher bringen ihre Kinder mit. 60 Prozent aller Amerikaner waren noch nicht in Vegas und nur 11 Prozent der Gäste kommen aus Übersee. Je mehr Hoteltürme hochgezogen werden, um so mehr Touristen kommen. Menschen ziehen sich gegenseitig an. Wo alle sind, wollen auch alle hin.
Amerika drückte bei Glücksspiel, Drogenhandel und Prostitution in Vegas ein Auge zu, da Nevada im Gegenzug Amerika erlaubte die Gegend durch Atomversuche zu verseuchen. Das Klima ist Ideal, wenig Regen, ganzjähriger Sonnenschein und trotzdem tagsüber zu heiß und nachts oft zu kalt um den ganzen Tag im Freien zu weilen. Die Umgebung der Stadt ist faszinierend, aber eben eine Wüste, in deren Mitte Las Vegas als Fata Morgana steht, ein vollklimatisiertes Raumschiff das uns auf einen anderen Planeten katapultiert, ein Planet der uns fremd und vertraut zugleich ist, der uns umfängt aber auch aufwühlt.
Da die Stadt nur von Wüste umgeben ist, kann sie sich grenzenlos ausbreiten. Sie wurde zu einer der dynamischsten Städte der Welt mit gigantischen Zuwanderungsraten. Heute wohnen mehr als eine Million Menschen in Las Vegas. Jeden Monat wird eine neue Schule gebaut weil 6000 Neubürger hinzu kommen.
"I have a new idea about every 21 seconds. It's a talent, a characteristic I have. But an idea is one thing. Making it come alive in three-dimension reality is another". - Jay Sarno, Erbauer von Caesars Palace und Circus Circus
Las Vegas ist der gebaute Traum von einer handvoll Aufsteigern. Sie alle träumten vom großen Aufstieg und von einer besseren Welt. Keine andere Stadt hat den Mut, bietet aber auch die Freiheit nahezu jede Idee umzusetzen. Sheldon Adelson – Sohn eines Bostoner Taxifahrers, hat als Zeitungsverkäufer begonnen und mit 13 Jahren selbstgebackene Bagels verkauft, mit 15 hatte er 150 Kaugummi-Automaten, mit 32 war er Millionär. Bis heute hat er an die 50 Unternehmen gegründet und in knapp 100 weitere viel Geld investiert, zum Beispiel in das Venetian. Stephen Wynn zog als Kind durch die Bingohallen der amerikanischen Ostküste und handelte später mit Spirituosen. Ihm verdanken wir das Mirage, das Treasure Islaand und das Bellagio. Im März 2000 verkaufte er überraschend seine Hotels in Las Vegas für 13 Mrd Mark an den Rivalen "MGM Grand Inc.". Kirk Kerkorian Nachfahre verarmter armenischer Immigranten war Amateurboxer und Pilot der Mafia. Ihm gehörte das Las Vegas Hilton, das Flamingo, das MGM Grand Hotel.
So etwas wie Alltag bleibt hier unsichtbar. Nichts erinnert an Arbeit, Sorgen, Probleme. Nirgendwo kann man deshalb so leicht dem Alltag entfliehen wie in Las Vegas. Die Stadt wirkt deshalb wie eine Fata Morgana in dessen flirrendem Licht sich unsere Wünsche spiegeln und Sehnsüchte sammeln. Vegas konzentriert sich, wie kaum eine andere Stadt, auf ihren symbolischen Wert, auf ihren Zeichencharakter. Und wer nach Vegas fährt nimmt immer auch ein Symbol der Stadt mit, in Form einer der unendlichen Merchandisingartikel, die sich aus den gesammelten Symbolen der Stadt generieren lassen. Das Phänomen Las Vegas funktioniert als Traummaschine weit über seine Stadtgrenzen hinaus. Er ist ein Global-Brand der überall für Glücksspiel und Unterhaltung steht. Der Las Vegas Strip ist das wahrscheinlich bekannteste Straßenstück der Welt.
Neben den Spielkasinos besitzt die Stadt auch eine Vielzahl von Wedding Chapels
(Hochzeitskapellen) auf, denn im Staat Nevada existieren recht lockere Heirats- und Scheidungsgesetze. "One phone call is all it takes!" An die 70.000 Paare lassen sich jährlich in einem der 30 Kapellen, die aussehen als seien sie aus Disneyland entlaufen, trauen. Hier werden auch noch die absurdesten Hochzeitswünsche erfüllt und so kamen auch Berühmtheiten wie Joan Collins, Frank Sinatra oder Elisabeth Taylor um sich hier trauen zu lassen. Wer hier heiraten will benötigt nur eine Kreditkarte und die "marriage licence", die man um ein paar Dollar im Clark County Clerk’s Office erwerben kann.
In den Casinos werden die Drinks von leicht bekleideten Damen serviert. Auch viele der amerikanischen Touristen geizen nicht mit ihren Reizen. Das prüde amerikanische System bricht hier seine rigiden Regeln, bahnt sich einen Weg in die Freiheit. Wer Liebe jedoch ohne Trauring will, kann in eines der vielen Striplokale oder Bordells gehen oder sich ein Mädchen aufs Zimmer kommen lassen. Um die Vergnügungsmeile familienfreundlich zu halten wurden Sexgewerbe und Family-Entertainment räumlich sauber getrennt.
Ausgangspunkt und Zentrum des Corporate Designs von Las Vegas ist und bleibt die Ästhetik der Spielutensilien, der Spieltische, der Einarmigen-Banditen, die grellen Farben der Spielkarten und deren klare Symbolik. Das Grundmuster von Las Vegas kann als aufreizend und gewinnversprechend beschrieben werden. Über lange Zeit hat Las Vegas eine eigene Formensprache entwickelt. Herausragende Beispiele hierfür sind zum Beispiel das Flimingo Hilton, das mit beleuchteten Flamingo Blätter verziert ist und die monumentalen Werbeschilder des Dune, des Stardust oder des Frontier-Casinos. In der Neon-Oase wird die Nacht zum Tag. Überdimensionale Reklametafeln und Lichtspiele sind zum Markenzeichen von Las Vegas geworden. Wir werden nicht nur von optisch konsistenten Welten umfangen, sondern schweben auch auf einem Teppich von Gerüchen und Geräuschen. Die Klimaanlagen erneuern nicht nur die Luft sondern umgeben uns mit parfümierter Luft.
Der Essayist Michael Ventura beschrieb Las Vegas als "die letzte große mythische Stadt der westlichen Zivilisation." Las Vegas recycelt und sammelt zumindest alle Mythen dieser Welt. Ein Thema als Gestaltungsprinzip ließ ein Casino nach dem anderen entstehen. Die Storys erzählen vom Traum nach Reichtum, von Goldgräberstimmung, von Westernromantik, aber auch von Märchen aus Tausendundeinenacht, von Seeräuberschlachten, von Pharaonenschätzen, von Karibikträumen. Bekannte Versatzstücke beschwören Assoziationen herauf. Die Stadt lebt aber auch von ihrer Geschichte und den Legenden die sich um Vegas ranken. In der Zwischenzeit haben eine ganze Reihe von Filmen Las Vegas als Kulisse gewählt.
Filmbeispiele: Fear and Loathing in Las Vegas / Leaving Las Vegas / Viva Las Vegas / Bette Midler - Diva Las Vegas / Bugsy / Casino / Destiny / Ein unmoralisches Angebot / Flight of Black Angel / Honeymoon in Vegas / Karate Tiger 7 / Kill Me Again / Last Exit Reno / Mars Attacks! / Showdown / Showgirls / Very Bad Things / etc.
Bücher: Verschollen in Las Vegas von Tim Gautreaux / Las Vegas: Bekenntnisse eines Spielers, von Puzo, Mario Mazel / Tov in Las Vegas: Ein Hochzeitsroman von Rahlens, Holly-Jane, / Fear and Loathing in Las Vegas: A savage journey to the heart of the American Dream. von Thompson S. Hunter / Der kleine Prinz in Las Vegas von Eckhard Schiffer / Divas Las Vegas
von Belinda Jones / etc.
An das Grundthema, Träume werden wahr, lassen sich beliebig viele neue Geschichten anfügen. Von den 20 größten Hotels der Welt stehen 18 in hier. Las Vegas macht die Übertreibung zur Regel und setzt den Superlativ als Standard. Nach oben sind keine Grenzen gesetzt. In Villach in Kärnten steht Minimundus in Nevada Maximundus.
Mirage 630 Millionen Dollar Baukosten, MGM Grand 5005 Zimmer, Excalibur 4000 Zimmer & 10.000 Quadratmeter Kasinofläche, Paris 2916 Zimmer & 760 Mio Dollar Baukosten, Monte Carlo 3002 Zimmer, Alladin Baukosten 2.900.000 DM & 2567 Zimmer, Alladin Erweiterung 500.000.000 DM, Venetian mit 6000 Zimmer das größte Hotel der Welt & 1,4 Mrd Dollar Baukosten, Bellagio 1,6 Mrd Dollar Baukosten. Von den überlangen Cadillac-Limousinen bis zu den „All You Can Eat“ Restaurants, Maßlosigkeit ist gefragt. Die 604 Quadratmeter großen Luxussuiten im Bellagio haben zwei Schlafsäle, vier Badezimmer, einen eigenen Pool, Frisierkammer, Esszimmer mit Marmorintarsien-Tisch, Sauna, Fitness- und Massageraum und einen eigenen Butler und würden rein theoretisch 6000 Dollar pro Nacht kosten, wenn sie nicht bereits umsonst an heftige Spieler vergeben wären. Sucht jemand einen Ort, an dem er seine maßlosen, luxuriösen Exzesse und Obsessionen ausleben möchte, Las Vegas erwartet ihn mit offenen Armen.
Neben dem Mega-Brand Las Vegas haben sich viele Subbrands ausgebildet. Klangvolle Namen – Golden Nugget, Barbary Coast, Sahara, Alladin, Stadust, Flamingo, Rio, Riviera, Dunes, Tropicana, Bally’s, Mirage, Ceasars Palace. Imperial Palace, Luxor, Treasure Island, Excalibur, MGM Grand – tragen die Kasinos, Namen die inzwischen in der ganzen Welt bekannt geworden sind. Die Automaten heißen Megabucks, Quartermania, Nevada Nickel. Aber auch eine ganze Reihe von Begriffen sind untrennbar mit Las Vegas verbunden: All you can eat, Showgirls, Megajackpot, Strip. Auch viele der Showtitel sind zu Markennamen geworden – Jubilee, Enter the Night, Splash, Mystere, "O".
Norbert Bolz meint: „Je moderner, das heißt differenzierter, arbeitsteiliger und damit unübersichtlicher die Gesellschaft wird, desto größer die Sehnsucht nach Einheit und Ganzheit. Gott ist die traditionelle Formel für die Einheit der Welt.”
Las Vegas ist Weltmeister in der Reduktion von Komplexität, es befreit die Welt von allem unnötigen Ballast und streicht heraus, was es für wichtig hält. Luxor – Ägypten, Caesars Palace – Rom, Bellagio – Oberitalien mit Comer See, Venedig, Paris, Rio, Monte Carlo, Excalibur die Welt des Zauberer Merlins und des europäischen Mittelalters; Tropicana – Karibik, Alladin – Orient, Harrah's – auf dem Mississippi Dampfer durch Mittelamerika. Durchschnittliche Amerikaner reisen nicht gerne in Länder in denen kein Englisch gesprochen wird. Sie genießen lieber "fremde" Kulturen ohne auf die gewohnte Kultur zu verzichten und ohne sich anpassen zu müssen. Die Amerikaner gehen nicht gerne, hier haben sie alles in Reichweite. In Las Vegas erspart man sich die übelgelaunten Europäer, die weiten Strecken zwischen den einzelnen Sehenswürdigkeiten und man ist nicht dem unberechenbaren europäischen Wetter ausgeliefert. Kein Steckerchaos unterchiedlicher Stromsysteme. Das Handy funktioniert. Und zu jedem Essen kann man auch Ketchup haben. Risikofreie Exoitk ohne Gefahr heimtückischer Krankheiten. Las Vegas ist primär die Pilgerstätte für Amerikaner die sich vor Europa fürchten und es hier einmal ausprobieren können.
"No other city I know feels so alive, so charged up with energy." – meint Kenny Rogers. Stars und bekannte Namen bringen einer Stadt erst Kontur und Geschichte. Der glitzernste von allen war neben "The King" Elvis, Liberace, dem Las Vegas auch ein eigenes Museum gewidmet hat. Viele der anderen Stars die Las Vegas bevölkert und berühmt gemacht haben, oder die sich hier erst ihren Ruf geholt haben, sind im Wachsfigurenmuseum der Stadt verewigt. Der Mensch als Markenartikel – Siegfried und Roy mit ihren weißen Tigern und ihrer Show "Beyond-Believe" zeigen seit mehr als 30 Jahren täglich zweimal ihre nahezu unveränderte Show. Aber auch David Copperfield, oder Lance Burton habe als Magier Weltruhm erlangt. Vegas wurde so zu einer Weltahauptstadt der Zauberei. Historische Boxkämpfe wurden in den Casinos geschlagen. Zu den Musikstars auf den Bühnen von Las Vegas gehören: Elvis Presley, Frank Sinatra, Sammy Davis Junior, Barbara Streisand, Judy Garland, Plüsch-Pianist Liberace, Bette Midler, Kenny Rogers – aber auch viele andere Stars, von den Rolling Stones bis zu Madonna.
1999 hatte Las Vegas, bei einem Gewinn von 1,2 Mrd Dollar, einen Umsatz von 13,9 Mrd Dollar gemacht. Las Vegas stellt die Welt auf den Kopf, denn das große Geld wird hier nicht mit Kost und Logis verdient, also mit jenen Gütern von denen andere Touristenstädte leben. Hier ist es umgekehrt. Weil alles so billig ist, oder weil wir es uns leisten wollen, verlieren wir die Kontrolle über unser Geld. Je nach Belegung bieten die Hotels teilweise sehr günstige Preise an. Wer ausgiebig spielt, wohnt und lebt umsonst in Las Vegas. In kostenlosen Broschüren, Zeitungen etc. findet man Coupons mit denen man unter anderem kostenlose Drinks bzw. Hamburger, Hot Dogs oder ähnliches und auch Rabatte zu Shows und Vorführun-gen erhält. Die Parkgarage kostet ein paar Dollars die man im Casino gegen Chips für Spiele eintauschen kann. Solange man spielt bekommt man gratis Getränke. All for free – Muss man etwas zahlen bekommt man einen Gutschein, oder etwas Gratis. Ein Angebot führt immer gleich zum nächsten. Ständig lockt ein riesiger Superjackpot oder hört man das Klingeln eines Gewinns. Las Vegas sorgt dafür, dass der Konsum nie abreißt.
Das Glück ist programmiert und natürlich zu Gunsten der Kasinobesitzer. Die Kasinos bewerben sich mit dem Prozentsatz durchschnittlich ausgeschütteter Gewinne. Alle Spielautomaten sind mit einem Zentralcomputer verbunden. Der Geldfluss wird im Hauptquartier genauestens registriert. Die Chance einen Jackpot zu knacken liegt bei eins zu 640.000. Las Vegas kassiert nicht nur sondern baut und investiert auch wieder hemmungslos und so profitieren in kleinem Rahmen auch die Verlierer wieder an ihren Verlusten, ihr Geld materialisiert sich in neuen Vergnügungsangeboten. Oder anders gesehen – die Bereitschaft, den Geldbeutel zu öffnen, ist direkt proportional zur Summe der angebotenen Fantasien. Auch in Las Vegas bestimmen Angebot und Nachfrage die Preise. Eine heftige Konkurrenz zwischen den Owner-Clans hat das Geschäft belebt, die Preise gedrückt und den Einfallsreichtum sowie die Service-Freundlichkeit gefördert.
Heute hat sich der Wettkampf beruhigt und Absprachen ersetzen den Verdräng-ungswettbewerb. Zimmer, die vor wenigen Jahren noch um 100 Dollar zu haben waren, kosten inzwischen über 300 Dollar. There’s no business like show business. Die Amerikaner sind ein puritanisches Volk mit strengen Sitten und konservativer Moral. Eine solche Gesellschaftsform braucht Ventile, die sich Amerika an mehreren Orten geschaffen hat. Punktuell werden die Leidenschaften in New Orleans, Miami aber eben auch Las Vegas ausgelebt. Neben den Kasinos, den Nachtlokalen, Diskotheken und Bars befinden sich etliche Showbühnen, wie Siegfried und Roy, die beiden Theater des Cirque Du Soleil "Mystère" & "O", Zauberer Lance Burton, oder die Special-Effects-Show EFX. Aber auch vor den Kasinos werden Shows am Straßenrand angeboten. "Wet'n Wild", ein Budapester Thermalbad, Südsee Sandstrand mit surfbaren Wellen, Golfplätze, Sportplätze, 180° Entertainment-Kinos, IMAX, Hubschrauberflüge in die Nationalparks, Einkaufszentren (die Vorreiter einer neuen Erlebnis-Einkaufswelt) hier gibt es alles von Armani, Moschino, Prada, Chanel, Hermès, Gucci und Tiffany bis zu Vergin, Nike, Banana Republik und DKNY, Merchandising Shops ohne Ende, Themenparks & Rides (MGM, Circus Circus), Sahara Speedworld ein Indoor Indy-Car Simulator, The Star Trek Experience - Theme Ride, Manhattan Express - Rollercoaster, (Mandalay Bay), Motion-Rides und vieles mehr; Erlebnisgastro-nomie, z.B.: Regenwald in der Hotellobby, Hard Rock Cafe, etc. Bei allem Spot der Europäer über Amerika, einem Land dessen Einwohner häufiger ins Museum gehen als auf den Sportplatz und in dem Kinder noch ganz selbstverständlich Musikinstrumente lernen, haben die Vergnügungsplätze eine technische und organisatorische Perfektion erreicht die Europa weit hinter sich lässt.
Wahrscheinlich wird keine andere Stadt der Welt so lückenlos überwacht und gesteuert wie Las Vegas. Von den vielen Verzweifelten, Streitsüchtigen, Betrun-kenen und im Drogenrausch befindlichen Gästen ist nichts zu sehen. Sie werden wie von Zauberhand aus der Stadt gesaugt. Aber auch von all der Arbeit, die es braucht um diese Stadt sauber und am Leben zu erhalten ist nichts zu sehen. Die Menschen werden über Förderbänder ins Innere der Kasinos transportiert, sie werden vom Strip regelrecht weggesaugt. Die Wege durch die Räumlichkeiten sind labyrinthisch angelegt. Sie sind moderne Irrgärten mit Wasserfontänen, Wandel-gängen, Lokalen, Glückspielplätzen, Fitnesscentern, Pools, Geschäften, Kosmetik-salons, Kinos, Themenparks, etc. Was Fehlt sind Orientierungsschilder, Uhren oder Fenster, die den Blick in eine andere Realität zuließen. Das alles hilft, einen künstlichen Raum zu etablieren, in dem das Zeitgefühl wie aufgelöst erscheint. Action rund um die Uhr, kein Winkel in dem nichts passiert, eine 24-Stunden Veranstaltung ohne Ruhetage.
Fast alle großen Religionen besitzen ein Glaubenszentrum – der Vatikan für die Katholiken, Mekka und Medina für Islamisten – zu dem die Gläubigen pilgern können. Las Vegas ist die heilige Stätte des Kapitalismus, hier wird uns der Himmel, das alleinseligmachende Glück des Geldes versprochen. Keine Religion verspricht allen das Paradies, dieses ist den Auserwählten vorbehalten. Die Aufgabe des Pilgers ist es auch Opfer zu bringen, in diesem Ort sein Geld zu Opfern für eine guten Zweck. Verbindung schafft das Warten auf das große Glück, auf den Super-Jackpot. Das allegorische Spiel kennt wie die amerikanische Gesellschafts-ordnung nur Gewinner oder Verlierer. Die Gewinner lächeln, den Verlierern vergeht das Lachen.
Las Vegas besitzt einen "Kulturbetrieb" mit Museen und Galerien – Bellagio Gallery of Fine Art – Guggenheim Museum im Venetian, Las Vegas Art Museum, Nevada Institute for Contemporary Art, Discovery Museum, Natural History Museum, Elvis-a-Rama Museum, Automobil Oldtimer Ausstellung, Madame Tussaud's – Wachs-figuren-Museum, McCarran Aviation Heritage Museum, Liberace Museum. Der Strip selbst bietet sich jedoch als monumentales Schauspiel an mit feuerspeien-den Vulkanen, dessen Rauch nach Kokusnuss duftet, gigantomanischen 70 Meter hohen Wasserspielen zu Opernarien, einem Gewächshaus im Fin-de-siècle Stil, Seeschlachten, dem stärksten Laserstrahl der Welt aus der Spitze der Pyramide und riesigen Kulissen. Ein Heer kostümierter Statisten vervollständigen das Theater. Für viele Europäer ist Vegas der Inbegriff von Kitsch. Kitsch wird definiert als sentimentale, phrasenhafte, pathetische Darstellung, die ein scheinkünstler-isches unechtes Gefühl ausdrückt. Dem Kitsch haftet immer Verlogenheit an.
Las Vegas ist die Stadt der Illusionen, der Kulissen – die Wellen im Kanal und im Seeräubersee werden künstlich erzeugt, die Gondeln von Elektromotoren ange-trieben, die Tauben sind dressiert. Alles Fälschung? Das Wiederverwerten von Versatzstücken anderer Kulturen hat jedoch lange Tradition. Die Römer haben die Griechen kopiert, im Barock waren Nachbauten römischer Ruinen beliebt, im Rokoko haben sich die Adeligen mit Schäferspielchen vergnügt, die Romantiker haben gotische Ruinen gebaut, im Klassizismus lebte Rom wieder auf, und im Prater stand bereits vor 100 Jahren ein Nachbau von Venedig. Wird Kunst definiert als eine Gestaltungsform, die von Zwecken befreit erscheint, hat Las Vegas damit nichts zu tun. Sieht man die Kunstgeschichte als eine Kulturgeschichte des Sichtbarmachens, so wird dem, der mit offenen Augen diese künstliche Oase betrachtet allerhand vor Augen geführt. Las Vegas öffnet den Blick auf die Zusammenhänge jener amerikanischen Kultur, die sich anschickt die Welt zu erobern. Indem Las Vegas versucht alles zu vermeiden, was uns im wirklichen Leben stört, wirkt es wie ein Brennglas auf unsere alltäglichen Probleme – auf Umweltverschmutzung, Kriminalität, Krieg, Arbeitskampf, Beziehungsdramen, Krankheit, Tod. Gerade die glatte Oberfläche vermag nicht zu verdecken, was uns nach der Abreise wieder erwartet. Es ist als Symbol der "falschen Welt" ein Hinweis auf das, was wir im "wirklichen Leben" so sehr vermissen. "Kunstwerke begeben sich hinaus aus der empirischen Welt und bringen eine dieser entgegengesetzte eigenen Wesens hervor, so als ob auch diese ein Seiendes wäre. Damit tendieren sie a priori, mögen sie noch so tragisch sich aufführen, zur Affirmation." Nein Adorno schreibt hier in seiner Ästhetischen Theorie nicht über Las Vegas, aber wie dieses kurze Zitat ahnen läßt, ist es schwierig geworden ein Urteil darüber zu fällen, was denn nun richtig und falsch, schön oder hässlich, zukunftsweisend oder ewiggestrig ist. Wichtiger als die Frage ob nun Las Vegas eine Ansammlung von grauenvollem Kitsch ist bleibt es, sich den kritischen Blick sich nicht rauben zu lassen und mit offenen und vorurteilsfreien Augen zu betrachten was zur Schau gestellt wird. Nicht erst seit den zentralperspektivischen Illusionsräumen der Renaissancemalerei kann die Kulturgeschichte als Bestrebung betrachtet werden geschlossene illusionistische Gesamtkunstwerke zu schaffen, die uns die Sinne rauben. Die Kunst ist somit schon lange eine Übung sinnlicher Erfahrung ohne greifbarem Gegenüber, ob Malerei, Theater, Oper, Film oder Virtual-Reality. Die visuelle Kultur der Neuzeit sucht den Fortschritt in der Täuschung der Sinne. Wir können nur hoffen, dass Las Vegas nicht die "Final Fantasy" der amerika-nischen Kultur darstellt. Las Vegas kennt in vielen Bereichen keine Zugangs-beschränkungen. Man muss nicht gebildet sein um an "Kultur" teilhaben zu können. Zeitweise braucht man Geld um sich Kultur anzueignen. Da der amerikanische Traum davon erzählt, dass im Grunde jeder reich werden kann, und von diesem Traum erzählt gerade Las Vegas, ist Kultur prinzipiell allen zugänglich. Der amerikanische Kulturbetrieb stellt für den europäischen Kulturbetrieb somit eine unerträgliche Provokation dar. Hier hat man Kultur, oder hat sie nicht, man kann sie nicht erwerben. Kultur ist hier noch immer ein zentrales System gesellschaftlicher Differenzierung und was Kultur ist und wer Kultur hat, entscheiden die jeweils Mächtigen.
Das System Las Vegas kann uns bei vielen Projekten ein Vorbild sein – optimale Abstimmung des Markenkerns auf die vorhandenen Rahmenbedingungen, auf Basis einer präzisen Marktkenntnis. Aufbau einer Markenfamilie auf einem beliebig erweiterbaren Grundprinzip, das in sich einmalig und unverwechselbar ist. Entwicklung eines, alle Bereiche umfassenden Corporate Designs, dass nicht auf starren Gestaltungsregeln, sondern auf der Erzählung einer flexibel variierbaren Geschichte basiert. Vernetzung aller Kommunikationsbausteine zu einem bedienungsfreundlchen User-Interface. Konzeptionierung einer organisierten, fehlerfrei ablaufenden Medientechnik und Produktionsoberfläche.
Las Vegas zeigt jedoch auch deutlich die Grenzen jener geplanten und konstruierten Welten auf, die nur eine Ziel – die Optimierung von Gewinnen – kennen und die nicht aus dem Zusammenspiel unterschiedlicher Interessen wachsen und entstehen.
Es ist immer wieder bezaubernd in Las Vegas zu landen und befreiend Las Vegas zu verlassen.