Informationsdesign | Wenn Daten Form annehmen

Über Sinn und Unsinn von Datenvisualisierungen

Vortrag in Zusammenarbeit mit Birgit Lohmann, 19. März 2015, Fachhochschule Vorarlberg

Jene Bilder, die wir uns von der Welt machen, verdanken wir heute nicht mehr nur der Verarbeitung unmittelbarer Sinneseindrücke, sondern sie werden zunehmend durch medial vermittelte Informationen bestimmt. Eine permanent wachsende Anzahl von Sensoren liefern ein immer reicheres und umfassenderes Material an Informationen, die uns zur Verfügung stehen um uns „schlau“ zu machen. Techniken, die es erlauben, die Datenfülle in Modelle zu übersetzen, die wir als verständlich betrachten, gewinnen daher an Bedeutung. Wir wollen einen Blick auf diese Techniken werfen um aufzuzeigen, welche Chancen, aber auch welche Gefahren, sich aus dieser Form der „Wahrnehmung“ ergeben. Wir haben unsere Überlegungen in 10 Thesen gegliedert:

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Menschen sammeln Informationen aus unterschiedlichsten Beweggründen.

 

Gustave Doré, Dantes Inferno, Punishment of the thieves, 1890

Inventor Hugo Gernsback wearing television glasses, LIFE Magazin, 1963

Seitdem viele Suchmaschinen benutzen, um gezielt Informationen zu finden, ist bekannt, wonach sie suchen. Das sagt allerdings noch nichts darüber aus, warum sie bestimmte Suchbegriffe eingeben und was sie sich von den Suchergebnissen erhoffen.

 

All jene Kulturtechniken, die sich darauf beziehen, Wahrgenommenes in übertragbare und speicherbare Formen zu transformieren, haben ganz wesentlich die Entwicklung der Menschheit bestimmt.

 

Der Austausch von Informationen kann sehr unterschiedliche Zwecke erfüllen. Sehr oft geht es zum Beispiel darum, Informationen so zu übermitteln, dass sie einen möglichen Einfluss auf das Handeln anderer Menschen nach sich ziehen. Vereinfacht lassen sich dabei zwei Methoden unterscheiden:

 

Einmal der Versuch, jemanden so in Angst und Schrecken zu versetzen, dass er versucht ist, der vermeintlichen Gefahr auszuweichen – koste es, was es wolle. Wie viele Handlungsspielräume haben Menschen bereits geopfert, um vermeintlichen Gefahren auszuweichen?

 

Die andere Methode besteht darin, Belohnungen zu verheißen, die nur durch ein bestimmtes Handeln erreicht werden können. Die Hoffnung ist ein starker Motivator und hilft uns, über viele Unzuläng-lichkeiten des täglichen Lebens hinwegzusehen und erstaunliche Anstrengungen zu unternehmen, um angepeilte Ziele zu erreichen.

 

Noch wirkungsvoller ist eventuell die Kombination von »Zuckerbrot und Peitsche«. Wer auf ein bestimmtes Haarpflegemittel verzichtet, dessen Haar wird so unattraktiv wie ein Büschel Stroh. Wer jedoch diese chemische Substanz benutzt, wird in den Himmel der sexuell attraktiven Menschen eingehen.

 

Diese Formen des Informationsaustauschs sind oft, anders als es den Anschein hat, nicht einseitig. Wir sind also nicht einfach Opfer unausweichlicher Manipulationsversuche, sondern sehr viele Menschen sind umgekehrt permanent auf der Suche nach Informationen, um herauszufinden, welche Formen des Handelns den größten Erfolg versprechen.

 

In jedem Fall stellt sich die Frage nach der Glaub-würdigkeit und Vertrauenswürdigkeit einer Information. Mit dieser Frage geraten wir jedoch ständig in eine schwierige Situation, denn einer-seits erscheinen uns exklusive Informationen, die nur uns zugänglich sind, von besonderem Wert, vor allem, wenn sie unserer Meinung nach von Personen stammen, die wir für vertrauenswürdig halten. Andererseits sind Informationen, von denen wir annehmen, dass besonders viele Menschen sie kennen und für relevant einstufen, etwas, woran wir immer wieder versucht sind, unser Handeln zu orientieren, auch wenn wir selbst anderer Meinung sind. Es spielt für die Wirkungsmächtigkeit eines Glaubenssystems keine Rolle, ob es irgend jemanden gibt, der wirklich daran glaubt. Entscheidend ist vielmehr, dass wir uns gegenseitig durch entsprechende Riten und Zeichensysteme der Gültigkeit einer Idee versichern.

Es ist eben nicht jedermanns Sache, eine Meinung unabhängig von den Reaktionen anderer Menschen zu vertreten. Die Anpassungsbereitschaft der Menschen hat dazu beigetragen, dass es uns zum Beispiel in Österreich gelingt, einigermaßen friedlich miteinander zu koexistieren. Andererseits sind wir durch unseren Konformismus in der Lage, dysfunktionale Systeme entstehen zu lassen und am Leben zu halten, die auf Dauer mehr Schaden als Nutzen erzeugen.

 

Wir sind jedoch an Informationen nicht nur deshalb interessiert, weil wir unser Handeln danach ausrichten möchten. Der Besitz von Informationen verheißt auch noch eine ganze Reihe anderer Vorteile.

 

Informationen sind jenes Material, das wir benötigen, um in sozialen Situationen etwas zum Tausch anbieten zu können. Unsere Beliebtheit und unser sozialer Status wird ganz wesentlich dadurch bestimmt, in welcher Art und in welchem Umfang wir andere Menschen mit Informationen beschen-ken können, bzw. wie sehr wir bereit sind, diese Geschenke zu honorieren. Hoher Sympathie erfreuen sich aber auch jene Menschen, die den Eindruck erwecken, Informationen anderer einen hohen Stellenwert einzuräumen, indem sie die Bereitschaft zeigen, mit Geduld und Aufmerk-samkeit zuzuhören. Wenn wir etwas »liken«, dann bedeutet das eben nicht unbedingt, dass wir es auch mögen, sondern es kann dies auch nur zum Ausdruck bringen, dass wir um die Sympathie der- oder desjenigen buhlen, der oder dem wir unsere Zustimmung schenken. »Likes« sind also nicht einfach ein Gradmesser der Beliebtheit bestimmter Informationen, sondern sie spiegeln vielmehr unsere Hoffnung wider, von welchen Kontexten wir uns die größten Vorteile versprechen.

 

Wir sind also durchaus auch an Informationen interessiert, die für unser unmittelbares Leben von geringer Relevanz erscheinen.

 

Ganz unabhängig davon, ob wir je die Chance erhalten, dass bestimmte Informationen für unser Handeln von Nutzen sein könnten, sind sie in der Lage, unsere momentane Stimmung und Befindlich-keit zu modellieren.

 

Nachdem der Erhalt, Zugang und Besitz von Informationen uns in so vielfältiger Weise Vorteile verspricht, lassen sich vermehrt „Informations-junkies” beobachten, deren Hunger mit der Anzahl der verfügbaren Informationen eher wächst als schrumpft. Es ist eben bei allem, was wir zu uns nehmen – ob Lebensmittel oder Hirnfutter – nicht nur eine Frage, wie viel davon wir uns zumuten, sondern eben auch, von welcher Qualität und Güte diese Objekte sind. Angeblich machen sich nur 7 bis 12% Prozent der Menschen in unseren Breiten Gedanken darüber, was sie in ihren Mund stecken. Wir fürchten, das Bewusstsein ist bei den Lese-gewohnheiten nicht besser als bei den Essge-wohnheiten. Viel Zucker und Fett und wenig Nahrhaftes.

 

Muss also, wer Menschen erreichen möchte, seine Informationen möglichst schmackhaft präsen-tieren, oder gibt es eine Möglichkeit, das Bewusst-sein der Menschen für die Problematik des Genusses von Informationsmüll zu verstärken?

Menschen beziehen ihre Informationen zunehmend aus »zweiter Hand«.

 

Mercedes-Benz CLS-Class, Interface Design

Schallmesser | Thermometer | Belichtungsmesser | Tachometer

Horloge de la Tour de l’Horloge, 1585, Paris, Palais de la Cité, Boulevard du Palais, Paris

Ice Bucket Challenge | Bill Gates – 21.323.129 | Mark Zuckerberg – 2.145.284 | Helene Fischer – 1.079.179

Wetter Applikation

Roofing-Selfie in Dubai

Durch die beinahe permanente Verfügbarkeit von Informationsmedien gerät leicht in Vergessenheit, dass ein beachtlicher Teil jener Informationen, die uns helfen, unser Leben zu bewältigen, sich medialer Vermittlung und nicht unmittelbarer Erfahrung verdanken.

 

Niklas Luhmann hat dies noch viel radikaler formuliert: »Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.« Dem könnte man entgegnen: Die Zeit der Massenmedien sei vorbei. Nicht mehr Print, Radio, Film und Fernsehen, also jene Medien die sich einer Interaktion verweigern, würden heute unser Bild der Welt prägen, vielmehr seien jene Bilder, die uns über Smartphones und Computerbildschirme begegnen, entscheidend dafür, was wir für lebensbestimmend halten.

 

Martin Prinz schrieb dazu im Standard: »Immer mehr Bestandteile, Wünsche und Sehnsüchte der Wirklichkeit werden in digitale Vorstellungen verwandelt. Von Skype anstelle tatsächlicher Begegnungen über multiples Kommunizieren per SMS, Chat oder Mail bis zu Youporn als Sexualitäts-ersatz landet ein immer größerer Anteil an Lebenswirklichkeit in der Digitalität.«

 

Diese Veränderungen in der Mediennutzung zeigen tiefgreifende Auswirkungen auf die Art und Weise, mit der Menschen sich ein Bild von der Welt machen. Wer in sozialen Netzwerken Beachtung finden will, muss zweierlei leisten. Er muss sich einerseits ein Bild davon machen, welche Art von Informationen sich allgemeiner Beliebtheit erfreuen und er muss selbst entsprechende Informationen aufspüren, produzieren und bereit-stellen. Erfolgreiche Nutzer sozialer Medien haben gelernt, Trends zu erkennen, um ihnen einerseits zu folgen und andererseits diese auch rechtzeitig wieder zu vergessen. Das mag auf den ersten Blick lächerlich klingen, aber das Bewusstsein für die Dynamik, als auch für die Variabilität von Lösungs-modellen hat damit sicherlich zugenommen.

 

Wie wir am prominenten Beispiel »Ice Bucket Challenge« sehen, jener Eiskübelherausforderung des letzten Sommers, mit dessen Hilfe Spenden-gelder zu Erforschung und Bekämpfung einer Nervenkrankheit gesammelt werden sollten: Um Aufmerksamkeit zu gewinnen, muss man etwas außergewöhnliches tun. Bill Gates schaffte es so auf erstaunliche 21 Millionen Views auf YouTube. Mit jeder Wiederholung einer solchen Aktion verringerte sich zwar das Interesse der Webcommunity. Viele Menschen haben sich plötzlich dafür interessiert, wie es jemandem geht, der mit Eiswasser über-gossen wird und dadurch für einige Sekunden jenes Gefühl der Lähmung im Körper spürt, das ein Erkrankter sein Leben lang ertragen muss. Unzählige, mehr oder weniger prominente Personen haben sich dieser Herausforderung gestellt und somit zur Bekanntheit der Spenden-aktion beigetragen. Die Aktion hat auf diese Wiese zu einem erstaunlich erfreulichen Spenden-aufkommen geführt. Wir erkennen an diesem Beispiel, dass die so genannten »interaktiven« Medien in der Lage sind, verschiedene Erlebnisqualitäten, analoger und digitaler Provenienz, miteinander zu verknüpfen und diese sich keineswegs in reinem Medienkonsum erschöpfen, sondern vielmehr die Medien heute in der Lage sind, den Erfahrungshorizont der Menschen in unterschiedlichsten Bereichen zu erweitern.

 

Das Verhältnis der Menschen zu den Medien ist heute äußerst ambivalent. Die Angst vor Überraschungen und die Hoffnung auf Sicherheit durch Überwachungstechnik hat dazu geführt, dass sich weitestgehend ohne Widerspruch milliarden-schwere Kontrollinstanzen entwickeln konnten. So können wir, ohne uns selbst um andere Menschen zu kümmern, darauf hoffen, dass wir vor drohenden Gefahren rechtzeitig gewarnt werden. Gleichzeitig haben wir begonnen, nicht nur durch den Siegeszug von „Reality-Formaten” im Fernsehen, unseren Blick auf das private und intime Leben anderer Menschen zu richten.

 

Das Handeln vieler Menschen ist vielfach bereits daran orientiert, inwieweit es zu Bildern führt, die sich medial verwerten lassen. Medien sind somit nicht nur Spiegel einer wie immer gearteten Realität, sondern vielmehr Ursache dafür, was wir glauben, im Alltag realisieren und umsetzen zu müssen. Dies betrifft bei weitem nicht nur den Sektor privater Eitelkeiten, sondern dominiert viele Bereiche des Lebens, von wirtschaftlichen bis politischen Aktivitäten. Man könnte fast meinen, die neuen Medientechnologien begünstigen einen geschlossenen Kreislauf, eine Art unabhängiger Selbstbezüge, die ab und an überraschende Kettenreaktionen bewirken wie zum Beispiel das so genannte »Roofing«, das Klettern auf die Spitze von Hochhäusern.

 

Wenn nun jedoch Big Data jener Rohstoff ist, der in immer weiteren Bereichen unseres Lebens als Entscheidungsgrundlage dient, dann ist immer zu bedenken, dass alle Daten nur innerhalb des jeweiligen Kontextes ihre Grundlage haben und jede Kontextverschiebung zu einer mitunter drama-tischen Veränderung der Daten führen kann.

 

So glaubte eine amerikanische Lebensmittelkette auf Grund ihrer Verkaufszahlen, dass Apfelkuchen am beliebtesten sei. Dies lag aber nur daran, dass sich Familien beim Kauf nur eines Kuchens auf eine Geschmacksrichtung einigen mussten und Apfel dem gemeinsamen Nenner am nächsten kam. Sobald jedoch kleinere Torten in den Handel gerieten, stellte sich heraus, dass Apfel bei weitem nicht zu den beliebtesten Geschmacksrichtungen gehört.

Was wir über die Welt zu wissen glauben, ist allerdings nicht nur das Resultat einer intensiven Nutzung von Medien und einer Auswertung unmittelbarer Sinneseindrücke.

 

Es ist uns gelungen, immer mehr künstliche Sensoren zu entwickeln, die zum Beispiel in der Lage sind thermische, chemische, optische, akustische Daten zu sammeln und zu verarbeiten. Eine ganze Reihe dieser Sensoren haben eine sichtbare Form, die bereits unabhängig von den mit ihnen erfassbaren Informationen ausdrücken, welchen Wert, welche Arten von Informationen möglicherweise für uns haben.

 

Zusammen mit der Erfassung von Daten erfolgt auch eine Bestimmung, welche Autorität diesen zugemessen wird. Die Zeit hat uns demnach nicht nur geschlagen, sondern bestimmte Ordnungs-instanzen benutzen technische Tricks, in diesem Fall die Zeitmessung, um uns in ein bestimmtes Handlungskorsett zu zwängen.

 

Gerade weil diese Daten den Eindruck erwecken, einen von subjektiver menschlicher Wahrnehmung unabhängigen und somit objektiven Ursprung zu haben, werden sie oft widerstandslos akzeptiert. So erleben manche Menschen zum Beispiel selbst Börsenkurse als eine Art von »Naturgewalt«, der wir uns nur ohnmächtig fügen können.

 

Damit wir auf Informationen von Sensoren zugreifen können, bedarf es einer Interface-gestaltung, die in der Lage ist, Messdaten in für Menschen wahrnehmbare Signale zu übersetzen. So gut diese Schnittstellen auch immer gestaltet sein mögen – wir müssen lernen, was sich aus den Daten lesen lässt, und wir müssen uns immer öfter entscheiden, ob wir den Anzeigen oder unseren subjektiven Empfindungen vertrauen. Daher schauen wir nicht mehr aus dem Fenster, wenn wir wissen wollen, wie das Wetter wird, sondern öffnen einen gerade verfügbaren Informationskanal.

 

Anders als in der unmittelbaren menschlichen Wahrnehmung, verweist das Interface lediglich auf jene Informationen, die im voraus als relevant eingestuft werden. Der Reichtum multisensorischer Eindrücke, deren Nachteil es mitunter ist, dass sie uns keine binäre Information im Sinne eines Ja oder Nein in Bezug zu einer beobachtbaren Situation liefern, wird im Messgerät aufgehoben. Ganz unabhängig davon, was zum Beispiel unser Körper uns vermittelt, die digitale Anzeige der iWatch weiß genau, ob wir uns für den Tag genügend bewegt und somit unser Trainingspensum erledigt haben, das für unsere Gesundheit angeblich notwendig ist.

 

Unser Körper und alles, was wir mit ihm anstellen, also nicht nur unsere Herzfrequenz und unser Aussehen, sondern auch unsere Sprachmelodie sowie Gestik und Mimik verwandelt sich in ein »Interface« zur digitalen Welt. Sensoren beobachten und interpretieren jede unserer Regungen.

 

Das ist in den USA längst keine Zukunftsvision mehr sondern Alltag. Viele große Konzerne nutzen bereits diese Technologie über die in etlichen Geräten vorhandenen Kameras, um möglichst viel über die emotionalen Reaktionen ihrer Kunden herauszu-finden. Auf der Webseite der Firma EYERIS ist zu lesen: »EYERIS is a Technology that transforms consumer electronics into Emotionally Intelligent devices that understand users feelings and provide customizable experiences. Devices with embedded systems are all around us today. Our novel face analytics technology architecture allows us the unique advantage of embedding our vision algorithms into embedded systems that power the machines and devices we use everyday.«

 

Byung-Chul Han meint in diesem Zusammenhang: »Die digitale Vernetzung erleichtert die Informa-tionsbeschaffung dermaßen, dass das Vertrauen als soziale Praxis immer mehr an Bedeutung verliert. Es weicht der Kontrolle. So hat die  Transparenzgesell-schaft eine strukturelle Nähe zur Überwachungs-gesellschaft.«

 

Die Angst vor der Entstehung einer perfekten Überwachungsgesellschaft ist sicherlich berechtigt. Aber wir haben eine zweite, ebenso große, Befürchtung, dass die möglichen Errungenschaften technologischer Entwicklungen und die damit verbundenen Potentiale einer erweiterten Wahrnehmung auf jene Bereiche eingeschränkt werden, die sich gewinnbringend vermarkten lassen oder der Disziplinierung der Menschen dienen.

 

Dabei könnte Data-Mining uns helfen, viele grund-legenden Zusammenhänge besser zu verstehen.

 

Die Vernetzung der physischen mit der virtuellen Welt wird in den nächsten Jahren weiter fort-schreiten, denn die Vorteile, die sich aus einer solchen Vernetzung ergeben, versprechen die Entstehung neuer, gewinnbringender Geschäftsfelder. Die verfügbaren Daten und die Möglichkeiten, diese miteinander zu verknüpfen, werden in vielen Bereichen aber auch ganz neue Optionen eröffnen, Zusammenhänge besser zu verstehen. Es ist an uns, ob wir diese Potentiale nutzen, um lediglich den Konsum anzukurbeln, oder ob wir die sich so öffnende Gelegenheit ergreifen, um gerade im Gegenteil Ressourcen zu sparen und ein umweltverträglicheres Leben zu führen.

Menschen hoffen, die Welt mittels Fernsteuerung beherrschen zu können.

 

Schlemmer, Zeichnung aus „Mensch und Kunstfigur, 1925

The control room of the nuclear ship NS Savannah, Baltimore, Maryland, USA, 2012

NSA | Cyberwar Defense Team

User Interface for the Film »The Avengers«

Sowohl bei Leonardo da Vinci als auch bei Oskar Schlemmer steht das Individuum im Zentrum seines Universums. Was den Menschen jedoch heute definiert und zugleich gefangen hält, sind jene Fühler, die er ausstreckt, um seine Wahr-nehmungsgrenzen, auch jenseits von zeitlichen und räumlichen Begrenzungen, zu überwinden. Was uns in gewisser Weise reicher macht, schränkt uns aber zugleich ein. Wir laufen Gefahr, den Faden zu einem unmittelbaren Bezug, zu der uns umgebenden Welt, zu verlieren.

 

Umso mehr Fühler wir ausstrecken, desto mehr Anzeigeinstrumente sollen uns helfen, Auskunft darüber zu erhalten, was an möglicherweise relevanten Informationen zu gewinnen ist. Hinter der Idee des Kontrollraums steht der Glaube, dass wir mit Hilfe von Sensoren eben mehr über die Welt erfahren, als durch eine unmittelbare Wahr-nehmung. Dies hat insofern zweifelsfrei seine Berechtigung in all jenen Bereichen, für die wir Menschen sensorisch überhaupt nicht ausgerüstet erscheinen. Für die Messung von Radioaktivität fehlt uns zum Beispiel ein passendes Wahr-nehmungsinstrumentarium. Die klassischen »Kontrollräume«, die sich als Fenster in eine Welt verstehen, die uns hoffen lassen, zu erkennen was handlungsentscheidend ist, um »am Ball« zu bleiben, sind In unseren Vorstellungen meist fensterlos. Sie isolieren uns somit von jener Welt, die wir zu beobachten versuchen.

Es bedarf also offenbar einer gewissen Blindheit, um sehend zu werden. So der Mensch bei der Beobachtung der Welt überhaupt den sicheren »Kontrollraum« verlässt, übernimmt er bestenfalls die Rolle eines lebendigen Transporteurs von Sensoren. Nicht was er, sondern was seine Sensoren aufnehmen, gilt als glaubwürdig. Seitdem wir Drohnen ins Gefecht schicken können, brauchen wir uns auch hier nicht mehr selbst in Gefahr bringen.

 

Diese Art der »Fernbedienbarkeit« hat das Denken und Handeln der Menschen tiefgreifend verändert, egal ob es dabei um Drohnen, Finanz- oder Medien-märkte geht. Die Distanz zwischen Aktion und Reaktion lässt sich inzwischen beliebig skalieren. Gerade weil wir nicht an einer Unterversorgung an Informationen leiden, ist es mitunter schwer vorstellbar, wie wenig wir von dem erfahren, was unsere Entscheidungen in weiterer Folge bewirken. Welche Folgen unser Handeln auf andere in der Welt zeitigt, erfahren wir nur, wenn wir dafür entsprechende Messdaten ins Visier nehmen.

 

An Beispielen wie diesem zeigt sich einmal mehr: Umso umfassender das Informationsangebot uns erscheint, desto leichter vergessen wir, von welchen Bereichen der Wahrnehmung wir auf diese Weise abgeschnitten werden.

Auch eine noch so große Datenfülle liefert nur ein lückenhaftes Bild der Welt.

 

Weltweite Verteilung der Wetterstationen

Kriegshandlungen: Kobane, Syrien

Karte Irak, Quelle, Washington, Fed. of American Scientists, 2002

Vergleich der Militärausgaben

Wie viele Messdaten dabei in Augenschein genommen werden, nach welchen Kriterien diese platziert und miteinander verrechnet werden, bleibt oft jenen verborgen, die nur mit den Ergebnissen konfrontiert werden.

 

So sehr wir unsere Sensoren auch in die Welt hinaus strecken, für wahr halten wir das, was uns von Quellen nahe gebracht wird, die wir für vertrauens-würdig erachteten. Dabei spielt es oft weniger eine Rolle, wie gewissenhaft diese bei der Gewinnung ihrer Daten vorgehen, als welche Reichweite Medien besitzen und wie oft die dort verbreiteten Informationen kopiert und weitergereicht werden.

 

Die Fülle der verfügbaren Informationen lässt uns gerne vergessen, wie eng dennoch jener Bereich bleibt, dem wir unser Augenmerk schenken. Mehr denn je bleibt uns dadurch verborgen, welche Informationen uns vorenthalten werden. Wie könnten wir auch einer Zensur auf die Schliche kommen, wenn keine Möglichkeit mehr besteht, einen Überblick über die angebotene Datenfülle zu erlangen?

 

Sobald wir beginnen, uns umzuschauen, müssen wir meistens feststellen, dass sich aus vergleich-baren Ausgangsdaten mehr als nur ein Bild ergibt und dass sich Informationen aller Art in viel-fältigster Form auswerten oder deuten lassen. Mehr noch als die Daten selbst, entscheidet die Form der Darstellung, welche Schlüsse wir daraus ziehen.

 

Wenn wir unterschiedliche Beispiele von Datenvisualisierungen betrachten, ist gut zu erkennen, dass auch visuelle Repräsentationen in ihrer Bedeutung erst gelernt werden müssen. Ungewohnte Darstellungsformen sind für viele Menschen schwerer zu entschlüsseln, als bereits gelernte und gewohnte.

 

Es ist auch entscheidend zu verstehen, was denn nun überhaupt verglichen werden soll. Wenn zum Beispiel unterschiedlich große Kreise zu sehen sind, sollen die Kreisflächen oder ihre Durchmesser vergleichen werden? Ebenso stellt sich bei einer Gegenüberstellung unterschiedlich großer Objekte die Frage: Zählt die Höhe, die Fläche oder das Volumen der einzelnen Objekte im Vergleich.

 

Erst aus dem Vergleich von Daten lassen sich Einsichten gewinnen. Dabei spielt es natürlich nicht nur eine große Rolle, wie verlässlich uns Sensoren mit Daten versorgen, sondern vor allem auch, wie und in welcher Form wir Daten miteinander in Beziehung stellen.

Einmal mehr: was aus der Reihe tanzt, wird gerne mit besonderem Interesse betrachtet, alles andere wird als selbstverständlich und daher als »normal« hingenommen. Sehr leicht führt eine solche Form der Konzentration auf so genannte »Ausnahmen« zu einem verzerrten Bild.

 

Je nachdem, was miteinander verglichen wird, bekommen die einzelnen Daten ein anderes Gewicht.

 

Selbst wenn wir drei Grafiken zum gleichen Thema betrachten, können wir mitunter erkennen, dass zum Beispiel die Kurven zwar ähnliche Verläufe zeigen, aber sich im Detail deutlich voneinander unterscheiden. Dabei greifen alle wahrscheinlich auf die gleichen Datensätze zu und werten diese nur anders aus.

 

Wie kann es zu solchen Unterschieden kommen? Nehmen wir ein x-beliebiges Beispiel. Daten werden selten lückenlos, sondern in bestimmten Intervallen ermittelt. Sie sind in ihrer Wechselhaftigkeit und Komplexität oft nicht sehr anschaulich, also werden sie vereinfacht, um so etwas wie Trendlinien zu erhalten. Wenn nun versucht wird, aus komplexen Datensätzen einen eindeutigen Trend zu ermitteln, dann verändert sich dieser Trend, je nach dem, welcher Ausschnitt gewählt und auf welche Details verzichtet wird. Je nachdem welche Daten nun exakt gegenübergestellt werden, können sich Trends ergeben, die entweder relativ statisch oder extrem ab- oder aufsteigend erscheinen.

 

In den meisten Fällen verwandeln und betrachten wir nach wie vor dynamische Prozesse so, als würde es sich um statische, unveränderliche Bilder handeln. Wir müssen vielfach erst lernen, Bewegungen, Strömungen, Veränderungen in ihrer Dynamik zu betrachten, anstatt sie in ein starres Korsett zu zwängen.

 

Horoskope sind ein gutes Beispiel für das Zusammenspiel von Daten und Interpretation. Auf der Grundlage astronomischer Berechnungs-methoden der Himmelsmechanik erfolgt eine Deutung nach vorgegebenen Regeln. Auf Basis solcher Anschauungsbilder sehen sich entsprechend geschulte Personen in der Lage, detaillierteste Informationen zu zukünftigen Ereignissen zu prognostizieren.

 

Daten sprechen nicht für sich. Dennoch hoffen wir, dass sie in der Lage sind, Ereignisse augenschein-lich zu machen, die sich ansonsten unserer Wahrnehmung entziehen.

Es sind nicht die Daten, sondern die Bilder, die sie in uns hervorrufen, denen wir Bedeutung zusprechen.

 

WWF, Infografik, Wasserverbrauch

Humouros Atlas of the World | The Illustration of the Great European War

Einsamer Eisbär

Auch wenn es immer noch darum geht, Muster zu erkennen, wie hier der Versuch, eine scheinbar willkürliche Anordnung von Sternen in Sternbilder zu fassen, so haben diese Muster ihre sinnlichen Qualitäten weitestgehend verloren und werden damit in gewisser Weise »gleichgültig«.

 

Wenn wir uns vergegenwärtigen, wie oft Bilder benutzt werden, um bestimmte Vorurteile zu begünstigen, kann eine gewisse Nüchternheit der Darstellung sehr wohl helfen, Themen sachlicher zu betrachten.

 

Werden unsere Emotionen jedoch nicht ange-sprochen, dann lösen selbst überzeugende Daten wenig aus. Um hier ein Beispiel zu bringen: Seit langem warnt uns eine Reihe von Wissenschaftlern vor den dramatischen Konsequenzen eines rücksichtslosen Umgangs mit unserem Planeten und führt uns mit dramatischen Zahlen die zu erwarteten Konsequenzen vor Augen.

 

Wichtiger als die Zahlen sind dann offenbar oft die grundsätzlichen Blickwinkel, aus denen heraus Informationen wahrgenommen werden. Glaube ich an die Fähigkeit wissenschaftlicher Institutionen, ernst zu nehmende Erkenntnisse zu erarbeiten? Habe ich den Verdacht, dass Zahlen nur benutzt werden, um mein Handeln in der einen oder anderen Form zu beeinflussen? Bin ich überhaupt bereit, mir Fakten anzusehen, die meinen Vorurteilen widersprechen?

Wie oft wir bislang auch auf die Konsequenzen unseres Handelns mittels Infografiken hingewiesen wurden – in den wohlhabenden Ländern hat sich am Verhalten der Menschen dadurch wenig geändert, ganz im Gegenteil. Die Lust, SUVs zu Fahren, Burger zu Essen und möglichst weit entfernte Urlaubs-destinationen anzufliegen, ist eher noch gestiegen – als könnten wir es nicht erwarten, dass sich die Prophezeiungen so rasch als möglich bewahrheiten oder als müssten wir, bevor es vielleicht nicht mehr möglich ist, jede denkbare Sünde noch schnell einmal begehen.

 

Oder glauben wir am Ende dann doch nur, was wir mit eigenen Sinnen erspüren können? Sind Menschen nur dann handlungsbereit, wenn sie von entsprechenden Bildern emotional ergriffen werden?

 

Vor allem medial übermittelte Bilder sind meist jedoch nur von kurzer Wirkungsdauer. Zu heftig ist das Bombardement mit Inszenierungen, die an unsere Gefühle appellieren, als dass sie noch von nachhaltiger Wirkung sein könnten.

Es entwickeln sich derzeit vermehrt Technologien, die es uns immer schwerer machen, zwischen unmittelbarer und vermittelter Wahrnehmung zu unterscheiden.

 

Sla-i-Martin ans Pinkovskiy, 2010, »GDP growth and extreme poverty rates were almost perfect mirror images of each other.«

Vogelschwarm

Aircraft Detection before Radar, 1900-1945

Wenn auch Google vorerst die Produktion ihrer Datenbrille eingestellt hat, so können wir dennoch davon ausgehen, dass wir weiterhin den Verdacht haben, dass wesentliche Informationen erst einem wie immer imaginierten Dunkel entrissen werden müssen. Die Überlagerung von Informationsebenen wird weiter sukzessive zunehmen und die Komplexität sich dadurch steigern.

 

Vor allem in der Geschäftswelt verlieren erzählerische Zusammenhänge ständig an Bedeutung gegenüber Zahlenwerten und deren Analysen. Das Schicksal und die Befindlichkeit einzelner Menschen verliert an Bedeutung. Nur Performance ist ein Faktor, der zählt und deshalb vermessen wird.

 

Statistiken gewinnen ihre Bedeutung durch die Annahme, dass Mittelwerte mehr aussagen als einzelne Daten und Details. Eine Grafik möchte zum Beispiel verdeutlichen, dass Wirtschaftswachstum und Armut in einem unmittelbar entgegengesetzten Verhältnis zueinander stehen. Welche Schlüsse sollen wir daraus ziehen? Sollen wir einfach mehr Wasser aus Afrika kaufen und die Armut verschwindet?

 

Die meisten Phänomene, die es zu beobachten gibt, sind – wie ein Vogelschwarm – in einem dynamischen Fluss. Sobald wir versuchen, der Flugbahn eines einzelnen Vogels zu folgen, verlieren wir rasch den Überblick über das Gesamtgeschehen und es ist schwer zu sagen, in welche Richtung sich der Schwarm möglicherweise bewegt. Noch schwieriger ist es, eine Prognose zu erstellen, für welche Flugbahnen sich die Vögel in einer Stunde entscheiden werden.

 

Menschliches Handeln steht in seiner Komplexität einem Vogelschwarm in nichts nach. So wie wir hier aus einer gewissen Distanz glauben, Formen, Figuren, Tendenzen und Bewegungsformen zu erkennen, nehmen wir auch an, dass wir Datensätze in ähnlicher Weise in interpretierbare Bilder übersetzen können. Nicht die Zahlen selbst, sondern die Bilder, die sich aus der Verknüpfung der Zahlen ergeben, werden als aufschlussreich betrachtet. Dabei ergibt, wie Vogelschwärme deutlich machen, jeder Blickwinkel ein anderes, mitunter sogar gegenläufiges Bild.

Dennoch entwickeln wir ein wachsendes Vertrauen in alle Arten von Daten, die sich in möglichst anschauliche und dramatische Bilder übersetzen lassen. Der Apple CEO Tim Cook meint dazu: »The whole sensor field is going to explode. It’s a little all over the place right now, but with the arc of time, it will become clearer I think.«

 

Die wachsende Datenflut verstärkt die Illusion einer berechenbaren Gesellschaft. Selbst sollten Daten jedoch in der Lage sein, uns Antworten auf wichtige Fragen zu geben, so bringen sie bestenfalls Licht in jene Bereiche, die wir durchforsten, so wir über-haupt die Fähigkeit entwickeln, Signale von einem bloßen Rauschen zu unterscheiden.

 

Vor der Erfindung des Radars wurde versucht mittels überdimensionaler Hörgeräte den Zeitpunkt und die Richtung eines möglichen Fliegerangriffs »vorherzulauschen«. Wie diese – aus heutiger Sicht abenteuerlichen – Hörgeräte verdeutlichen, haben wir eine konkrete Vorstellung davon, aus welcher Richtung uns Gefahr droht und wir richten folglich all unsere Aufmerksamkeit in diese eine Richtung und sind dann möglicherweise überrascht, wenn wir die Fühler in die falsche Richtung ausgestreckt haben.

 

Die neuen, permanent verfügbaren, techno-logischen Zugänge zu Informationen aller Art erschweren die Unterscheidung zwischen dem, was wir wissen und dem, was wir zu wissen meinen. Wie weit sind wir noch entfernt von einer permanenten Überlagerung von Informationsebenen? Wenn ich die Menschen in Wien in der U-Bahn betrachte, denke ich: wir haben dieses Ziel bereits erreicht.

 

Die technische Umsetzung einer »nahtlosen« Zusammenführung von menschlichen und medialen Informationsströmen wird noch ein wenig auf sich warten lassen. Diverse Science-Fiction- Filme kommen mit ihren Spezialeffekten jedoch wahrscheinlich dem sehr nahe, was sich in unseren Köpfen bereits abspielt. Wir beginnen zu vergessen, aus welchen Quellen sich unsere Erfahrung speist.

Wir werden heute fast alle zu unermüdlichen Datenproduzenten. Diesen Rohstoff verschenken wir freiwillig an Konzerne, die damit gewaltige Gewinne erwirtschaften.

 

Mark Zuckerberg, Gründer & Vorstandsvorsitzender des Unternehmens Facebook Inc.

Apple, Health Application

Verizon/Motorola | User Interface Design for Commercials

Zweifellos überzeugt uns die Leistung von Sensoren und deren Auswertung vor allem dort, wo es um vergleichsweise einfache Sachverhalte geht. Wie wir im Bereich der Steuerung von Fahrzeugen erleben, ist allerdings selbst die Deutung von einfachen Zusammenhängen, wie einer Abstandsmessung, relativ komplex.

 

Durch die Nutzung solcher Technologien entsteht gleichsam als Überschuss auf einer übergeordneten Ebene meist auch eine weitere Möglichkeit der Auswertung. Sollte jemand Interesse daran haben, so verraten diese Informationen nicht nur eine Menge darüber, wie sich jemand im Verkehr verhält und wie sehr er sich an Regeln hält oder diese ignoriert, sondern es entsteht auch zunehmend ein Bild über die konkreten Lebensgewohnheiten und Umstände eines bzw. vieler Verkehrsteilnehmer.

 

Diese Metadaten werden zu Recht als äußerst wertvolle Ressource angesehen. Wie jedoch dieser historisch einzigartige Zuwachs an Beobachtungs-möglichkeiten genutzt und ausgewertet wird, ist – so hoffen wir – noch nicht endgültig entschieden.

 

Heute haben sehr viele Menschen in der westlichen Welt die Chance, ihr eigenes Kontrollzentrum zu besitzen. Dazu brauchen wir uns nicht mehr in einen abgeschlossenen Raum zu begeben. Wir können es mit uns herumtragen. Wir kontrollieren damit aber auch nicht den Verlauf einer Weltraum-mission oder das Funktionieren eines Kernkraft-werks, sondern es dient vorwiegend der Selbst-kontrolle.

Diese technologischen Angebote schmeicheln uns. Sie vermitteln den Eindruck, als würden die neuen monopolistischen Konzerne wie Google, Amazon, Facebook und Co. nichts anderes im Sinn haben als unser Wohl.

 

Wenn wir die Entwicklung der Datengeschäfte genauer betrachten, dann bemerken wir, dass sich die Welt wieder einmal in zwei Gruppen aufteilt. Auf der einen Seite jene, die unermüdlich und unbezahlt Daten produzieren und von sich weitergeben und auf der anderen Seite eine sehr kleine Gruppe von Personen, die aus diesen Datensammlungen historisch einmalige Milliarden-gewinne zieht.

 

Was die großen Datensammler genau mit unseren Daten machen, entzieht sich weitestgehend nicht nur unserer Kenntnis, sondern auch unserer Kontrolle. Wenn jedoch, wie behauptet wird, Daten der Treibstoff des 21. Jahrhunderts sind, jener Rohstoff, der sich wie kein anderer je in der Geschichte gewinnbringend vermarkten lässt, dann sollten wir uns zunehmend fragen, warum wir es uns gefallen lassen, nicht nur von all diesen Geschäften zunehmend ausgeschlossen zu sein, sondern auch keinen freien Zugang zu jenem Wissen zu erhalten, das wir selbst durch die Dokumentation und Vermessung des eigenen Lebens produzieren.

Wir können uns nicht darauf verlassen, dass das gesammelte Wissen von bestehenden Institutionen genutzt wird, um jene Probleme zu lösen, von denen wir uns als betroffen erleben.

 

Sie werden möglicherweise jedoch den Eindruck haben, dass wir inzwischen über die Medien mit Unmengen an Zahlenmaterial bombardiert werden und wir in diesem Sinne keinen Mangel leiden. Wie die Entwicklungskurven von Arbeitslosenquoten zeigen, müssen Zahlen uns nicht unmittelbar helfen, Zusammenhänge zu verstehen.

 

Ohne begleitende Erläuterungen und Interpreta-tionen ist solchen Informationsgrafiken wenig zu entnehmen. Es wird uns hier auch oft nicht verraten, wie diese Zahlen zu verstehen sind. Handelt es sich zum Beispiel um Kurz- oder Langzeitarbeitslose? In der Arbeitslosenquote werden meistens nur jene Menschen eingerechnet, die schon einmal selbst erwerbstätig waren, also nur registrierte Arbeitslose, nicht aber alle Arbeitssuchenden und schon gar nicht jene, die die Gesellschaft aufgegeben hat und auch nicht jene Personen, die unentgeltlich im Dienste der Gesellschaft tätig sind.

 

Es geht natürlich auch anders. Die »Zeit« stellt zum Beispiel immer wieder zu bestimmten Themen eine ganze Reihe von Zahlen und Informationen so zueinander in Beziehung, dass wir bereit sind, uns darauf einzulassen, Zusammenhänge aus einem neuen Blickwinkel betrachten lernen. In einem konkreten Beispiel wird zum Beispiel anhand verschiedener Blickwinkel gezeigt, dass sich die Angst vor Muslimen nicht bedrohlichen Entwicklungen, sondern vorwiegend ungerechtfertigten Vorurteilen verdankt.

Videos und interaktive Medien sind in der Lage, auch komplexere Zusammenhänge in einer verständlichen und anschaulichen Form zu vermitteln.

Wir sollten darauf bestehen, dass es für alle Menschen einen möglichst offenen Zugang zu allen für sie relevanten Daten und Informationen gibt, denn wir wissen nicht, wem es gelingt, die anstehenden Probleme zu lösen und wir können es uns nicht leisten, auf die gedanklichen Potentiale der Menschheit zu verzichten.

 

Nationalsozialistisches Propagandamaterial, Lebenshaltungskosten, Aufwandsvergleich, 1935

Wie schnell lassen wir uns von anschaulichen Darstellungen überzeugen? Wie oft wurden wir bereits in die Irre geführt?

 

Die Welt teilt sich ein weiteres mal in Alphabeten und Analphabeten, in Menschen, die in der Lage sind, Daten auszuwerten und jene, die sich damit begnügen müssen, bereits möglicherweise zurechtgestutzte Datensätze in appetitlichen Datenhäppchen aufbereitet zu konsumieren.

Der Zugang zu Daten kann uns eindeutig helfen, jene Zusammenhänge besser zu verstehen, die uns betreffen, aber sich einer unmittelbaren Wahrnehmung entziehen. Es haben sich inzwischen eine Reihe von Plattformen gebildet, die sich mit der Bereitstellung, Verarbeitung und Analyse von Daten beschäftigen. Diese Daten werden derzeit aber nur von wenigen Menschen genutzt, da viele nicht wissen, dass es solche Datenbanken überhaupt gibt und zweitens, weil sie nicht gelernt haben, mit Daten umzugehen.

 

 

• Gender-Equality-Index

 

• Open Knowledge

 

• Vienna Open Data

 

• Open Data Portal Österreich

 

• Datahub

Wir brauchen dringend Instrumente, die es möglichst vielen Menschen ermöglichen, mit Daten zu spielen, denn nur so können jene Lösungsansätze gefunden werden, auf die wir alle in hohem Maße angewiesen sind.

 

Backup tapes at one of Google's data centers, in Berkeley County, S.C.

Ender’s Game | Tablet holo-graphics | Summit Entertainment

WikiLeaks, »The truth will alwys win.«

Wie uns die Erfahrung mit der Plattform WikiLeaks zeigt, ist das zur Verfügung stellen von Informationen zwar ein unerlässlicher und wichtiger Schritt, aber ohne die Option, diese auch in angemessener Zeit zu verarbeiten, eine für viele weitestgehend wertlose Ressource.

 

Was es also braucht, ist nicht nur ein möglichst offener Zugang zu jenen Daten, die für unser Leben von hoher Relevanz sind, sondern auch Instrumente, die es erlauben, mit diesen Daten zu spielen, um deren mögliche Bedeutung aus vielfältigen Perspektiven zu erproben.

 

Die geläufigen Stichwörter sind in diesem Zusammenhang: Gamification und Infotainment. Die Spieleindustrie ist aktuell die größte Medien-industrie, größer als Film oder Fernsehen.

 

Erste erfreuliche Ansätze dazu sind vielerorts zu beobachten. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Machbare auch nur ansatzweise erreicht wird.

 

Unser Traum wäre es, diese Leidenschaft junger Menschen für spielerische Zugänge verstärkt zu nutzen, um die beiden Wahrnehmungsbereiche, menschliche und sensorische Wahrnehmung, wieder zusammenzuführen, um die Auswertung des Datenreichtums nicht nur der NSA und inter-nationalen Konzernen zu überlassen, sondern um wieder aus dem, was wir über die Welt erfahren können, handlungsrelevante Hinweise zu gewinnen. Vielleicht könnte es uns dann gelingen, die Vielzahl der Probleme in den Griff zu bekommen, die aktuell die Menschheit in ihrer Existenz massiv bedrohen.

Wenn sie nun fragen, welchen Beitrag können Agenturen und die Medienlandschaft dazu leisten, dann lautet unserer Meinung nach die Antwort: Neben all den Leistungen, die bislang schon immer erbracht wurden, ist es nun an der Zeit, auf die Veränderungen in der Welt zu reagieren. Bildungs- als auch Medieninstitutionen müssen verstehen, dass es nicht nur um eine Vermittlung von Informationen geht, sondern mehr und mehr um eine Bereitstellung von Daten in einer Form, die von möglichst allen selbst bearbeitet werden können.

 

Das menschliche Wissen hat einen Umfang erreicht, dass es einzelnen Menschen nicht möglich ist, einen Überblick über das vorhandene Wissen, selbst in abgezirkelten Bereichen, zu erwerben. Umso dringender erscheint es uns daher, neue Methoden der Bearbeitung, Aufbereitung und Analyse von Daten zu entwickeln.

 

Sollte es einem der großen Internetkonzerne oder einem der Geheimdienste dieser Welt inzwischen gelungen sein, eine intelligente Auswertung von großen Datenbeständen durchzuführen, so würden wir uns wünschen, dass diese Technologien allen Menschen zur Verfügung stehen.

 

Wenn schon alle anderen Rohstoffe sich weitest-gehend in privater Hand befinden und nur wenige von dessen Ausbeutung profitieren, so sollten wir zumindest auf jenen Anteil des Rohstoffs Wissen in gewinnbringender Form zugreifen dürfen, den wir selbst herstellen.

 

Die technologischen Instrumente, die es uns möglich machen, Daten in Erfahrungswelten zu verwandeln, sind entweder in der Entwicklung oder aber bereits vorhanden. Jener Umgang mit Daten, der uns aus Science-Fiction-Filmen bekannt ist, könnte uns allen helfen, unsere Wahrnehmung und somit unser Bild der Welt zu erweitern.

 

Sie werden jetzt vielleicht sagen, wir stehen heute doch an der Schwelle zu einer Zeit, in der ohnedies „künstliche Intelligenz” der menschlichen Gehirn-leistung weit überlegen sein wird. Ist es demnach nicht besser, einfach alles zu vergessen? Es geht doch nur noch darum, sich selbst zu finden und glücklich zu werden? Selbst wenn jedoch die Maschinen bald erheblich intelligenter sein sollten als wir selbst, so können wir uns nicht sicher sein, ob sich die Interessen mit denen solche Programme derzeit entwickelt werden, mit den unseren decken.