Creative Work: Markus Hanzer im Gespräch mit Carina Reindl über Gestaltungsarbeit heute

 

Verstehen sich Gestalter als Hand- oder als Kopfarbeiter?

 

Je nachdem. Handarbeit hat mitunter große Vorteile, weil hier Fähigkeiten angeboten werden, von denen andere annehmen, sie nicht zu besitzen. Das betrifft zum Beispiel die Illustration. Dass jemand etwas zeichnen kann, wird bewundert. Diesbezüglich hat sich bei aller technischen Entwicklung relativ wenig geändert. In anderen Bereichen haben traditionelle Formen der Handarbeit an Bedeutung verloren. Das Talent, mit Hilfe von Gummi Arabicum Papierfahnen in attraktiver Form auf Flächen zu kleben, verliert durch die allgemeine Verfügbarkeit von Layout-Programmen erheblich an Attraktivität. Der Blei- und der Lichtsatz, einst anspruchsvolle handwerkliche Berufe, finden heute, außer in speziellen Randbereichen, keine Nachfrage mehr. Bei der Kopfarbeit sieht es ganz anders aus. Die Themen, mit denen wir uns in Zusammenhang mit Gestaltungsfragen beschäftigen, haben sich im Laufe der Geschichte nur langsam verändert. Trotz ständig neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse hat sich hier ein Erfahrungsfundus entwickelt, der sich als relativ stabile Basis für Diskussion erweist. Auch wenn sich durch neuen Medien weitere Möglichkeiten zu kommunizieren entwickeln, bleiben die grundlegenden Ziele, warum wir Zeichenwelten benutzen, einigermaßen unverändert. Die Vorstellung, dass es sich hierbei um ein Fachwissen handelt, bei dem es sich lohnt, dieses in Anspruch zu nehmen, erscheint mir jedoch nicht sehr verbreitet zu sein. Es gibt wenige Unternehmen, die eine solche Expertise zu schätzen wissen.

 

Was wird demnach vom Gestalter erwartet? Gibt es Fähigkeiten, die gerade heute besonders wichtig sind?

 

Begriffe wie "Gestaltung" erwecken den Eindruck, dass unterschiedlichste Tätigkeitsbereiche, die vielleicht gar nicht viel miteinander zu tun haben, sich einem einzigen Set von Fähigkeiten verdanken. Ein differenziertes Verständnis von der Vielfältigkeit der Aufgabenstellungen und der für deren Bewältigung notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten würde dem Ansehen der Branche sicherlich helfen. Es macht einen großen Unterschied, ob jemand wie Ike König an neuartigen und spannenden Formfindungen arbeitet oder wenn zum Beispiel Ruedi Bauer Leitsysteme entwickelt, die einem Ort angemessen sind, den Menschen Identität geben und ihnen helfen, sich zurecht zu finden. Je nachdem, ob jemand eine Schrift, ein Interface für medizinische Apparaturen, ein Computerspiel, eine Ausstellungsgestaltung oder eine Marke entwicklt - jedes dieser Themen erfordert eigenes Fachwissen und eine dementsprechende handwirkliche Ausbildung.

 

Das Berufsbild Kommunikationsdesign sollte seine Spezialisierungstendenzen stärker betonen?

 

Ja. Ähnlich wie in der Modebranche wollen Kunden zum Beispiel mitunter eine persönliche Handschrift und somit die Aura einer außergewöhnlichen Gestalterpersönlichkeit erwerben. Man kauft sich einen Lagerfeld damit etwas aussieht wie ein Lagerfeld. Hier wird keine Kleidung erwartet, die den eigenen Charakter zum Ausdruck bringt, sondern man möchte sich mit fremden Federn schmücken. In anderen Aufgabenbereichen wäre eine solche Lösung kontraproduktiv. Wenn es zum Beispiel darum geht, die formalen Spielräume für ein Nachrichtenformat abzustecken, dann ist möglicherweise eine sich selbst in den Vordergrund drängende Gestaltung unangebracht. Hier könnte die Leistung in der Entwicklung eines Resonanzraums bestehen, der den Inhalten eine Bühne bietet, auf der diese ihre optimale Wirkung entfalten können. Bei einer solchen Aufgabenstellung hat mein Ego nichts verloren. Hier geht es vielleicht darum, jemandem komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge so nahe zu bringen, dass er nicht nach 30 Sekunden wieder abschaltet. Die dafür entwickelten visuellen Formen sollten dann wahrscheinlich auch noch im Rahmen der verfügbaren Ressourcen umsetzbar sein. Manchmal ist ein "lautes", dann wieder ein zurückhaltendes, ein konventionelles oder ein radikal neues, ein allgemein verständliches oder ein nur für bestimmte Zielgruppen entzifferbares Design gefragt. Ich denke, der Beruf des Kommunikationsdesigners deckt ein enorm breites Spektrum an Fähigkeiten ab.

 

Je nachdem, was eine Branche kann und was sie anbietet, verändern sich auch die jeweiligen beruflichen Chancen. Ein großes Problem für die Gestaltungsbranche sehe ich in einer verständlichen Darstellung und Vermittlung jener Fertigkeiten, die hier entwickelt wurden. Nur wenige Menschen haben eine Vorstellung davon, was von dieser Branche erwartet werden kann und an wen man sich am besten mit welchen Fragestellungen wendet. In medizinischen Berufen hat sich heute ein relativ weit verbreitetes Verständnis dafür entwickelt, bei welchen Krankheitsbildern welche Fachärzte eventuell entsprechende Hilfestellungen anbieten können. Wenn es uns gelingt, ein differenzierteres Bild von Gestaltungsarbeit in der Öffentlichkeit zu entwerfen, so ändern sich auch die Möglichkeiten, zu gestalten. Die Branche ist nicht starr, sondern in stetiger Bewegung.

 

Aber hängt es nicht auch immer mit den Voraussetzungen der jeweiligen Zeit zusammen? Hat nicht die mediale Wahrnehmung die Bedingungen wie und was gestaltet wird, verändert?

 

Bestimmte Grundmuster im Bereich unserer Wahrnehmung und unseren Bemühungen zu kommunizieren, erscheinen mir relativ stabil. Natürlich kommen durch die Erweiterung medialer Angebote neue Optionen im Bereich der Gestaltung hinzu. Auch in einem Buch lässt sich so etwas wie eine filmische Bewegung, eine Abfolge von Szenen und Einstellungen, eine räumliche Gliederung beobachten. Selbst ein großer Teil aller Internetangebote bietet keine wesentlich neuen Formen der Übersetzung von Inhalten in eine Formensprache. Wenn wir uns fragen, wie wir Gestaltungssprachen nutzen und einsetzen, haben digitale Medien die visuelle Welt weniger stark revolutioniert, als allgemein angenommen.

 

Also denken sie nicht, dass sich die Formen der Rezeption durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien verändert haben?

 

Unser Umgang mit visuellen Zeichen entspricht dem einer Sprache und basiert somit auf gelernten Bedeutungsmustern. Das Visuelle versteht sich nicht von selbst. Im Laufe der Geschichte haben sich immer wieder neue differenzierte Zeichensprachen entwickelt, deren Bedeutungen vielfach aber auch wieder dem Vergessen anheim gefallen sind. Comicfans können in Bildabfolgen möglicherweise Nuancen erkennen, die anderen Menschen verborgen bleiben. Es gibt eben auch einen visuellen Analphabetismus. Mit der Bedeutung von Kunstwerken, Filmszenen, Verkehrszeichen müssen wir uns erst einmal vertraut machen. Manche Menschen mögen heute tausende von Markenzeichen zuordnen können, aber vor den Bildern in einer Kirche ratlos stehen. Bedeutsamer erscheinen mir deshalb in diesem Zusammenhang generelle gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen als technische Innovationen.

 

Aber ist durch die Globalisierung nicht eine gewisse Vereinheitlichung entstanden?

 

Die Globalisierung hat einerseits zu einem Sterben einer visuellen Artenvielfalt, aber andererseits auch zur Entwicklung regionaler Eigenheiten geführt, die es mitunter zuvor nicht in einer so deutlichen Ausprägung geben hat. Erst durch die Konfrontation mit überregionalen Gestaltungsmustern gewinnen individuelle Besonderheiten einen eigenen Wert. Die Globalisierung hat somit Veränderungen in beide Richtungen bewirkt. Es ist in manchen Bereichen so etwas wie eine allgemein verständliche globale visuelle Sprache entstanden. Darüber hinaus lassen sich unendlich viele, oft kleine Gruppen beobachten, deren Zusammenhalt sich vielfach einer nur ihnen verständlichen Zeichensprache verdankt. Wir können daher kaum davon ausgehen, dass Menschen Zeichen auf identische Weise interpretieren. Sie wissen vielleicht, wofür bestimmte Zeichen stehen, aber die Assoziationen, die sie damit verbinden, können sich dramatisch unterscheiden. Ich halte es für einen Irrglauben, dass wir uns mit Hilfe einer international verbreiteten visuellen Sprache problemlos auf  gemeinsame Vorstellungen verständigen können. Es ist ja bereits verbal kaum möglich, einen Satz zu sprechen, der vom Empfänger so aufgenommen wird, wie ich ihn gedacht habe. Mit visuellen Zeichensystemen ist dies wahrscheinlich noch schwieriger. Es ist äußerst schwierig, herauszufinden, was jemand empfindet, wenn er bestimmte Zeichen oder Symbole sieht.

 

Es ist also unmöglich, ein visuelles Zeichen zu erzeugen, dem alle die gleiche Bedeutung zusprechen?

 

Es wird behauptet, Coca-Cola sei das zweitbekannteste Wort auf der Welt, gleich hinter der Redewendung "Okay". Auch wenn unendlich viele Menschen das Logo kennen, bedeutet das nicht, dass es in ihnen vergleichbare Vorstellungen auslöst. Ich meine jedoch nicht, dass Zeichen generell ihre Wirkung verfehlen. Wann immer wir unsicher sind, besitzen wir die Neigung, andere zu beobachten, um uns an deren Verhalten zu orientieren. So können sich bestimmte Reaktionsformen auf Zeichen relativ gut verbreiten. Wäre dem nicht so, würde das Leben in öffentlichen Räume wahrscheinlich ein wenig chaotischer ausfallen. Nur weil wir ein Zeichen zu interpretieren wissen, können wir jedoch nicht annehmen, dass alle Menschen diesem die gleiche Bedeutung zuweisen. Das Telefonieren-Verboten Piktogramm in manchen Zügen der ÖBB wird wahrscheinlich von den meisten Reisenden verstanden, wirkt sich jedoch auf deren Verhalten kaum aus. Wenn wir also Zeichen setzen, um damit in der Welt etwas zu bewirken, so ist dies immer ein komplexes Problem, das meist nur in Zusammenhang mit anderen Aktionen erfolgreich zu bewerkstelligen ist.

 

Aber wie kann sich der Gestalter dann jemals sicher sein, den richtigen Ausdruck gefunden zu haben? Wäre es dann nicht besser, er würde versuchen, seine eigene Vorstellung im Zeichen widerzuspiegeln?

 

Wenn wir uns mit der Geschichte visueller Erscheinungsformen unterschiedlicher Kulturen beschäftigen, lassen sich durchaus gewisse Muster erkennen, die sich vielerorts durchgesetzt haben.

 

Solange wir auf diese Muster als Basis für unsere Ausdrucksformen zurückgreifen, ist es zumindest wahrscheinlich, dass wir viele Menschen in der einen oder anderen Form zu Reaktionen bewegen können. Wie diese Reaktionen jedoch konkret aussehen, darauf haben wir nur einen sehr beschränkten Einfluss. Wir können Assoziationen anstoßen, Emotionen hervorrufen, etwas in Bewegung bringen. Es besteht jedoch immer die Gefahr, dass die Botschaft anders ankommt, als wir uns das vorgestellt haben.

 

Ist es da als Gestalter nicht besser, zu versuchen, ein großes Feld an Aufgabenstellungen abzudecken, als sich auf einen Bereich zu konzentrieren?

 

Hier sind wir wieder bei der Frage, verstehen wir unter Gestaltung Handarbeit oder Kopfarbeit? Wenn es sich um Handarbeit handelt, lohnt es gewiss, sich eine Zeit lang auf bestimmte Tätigkeitsfelder zu konzentrieren, da wir sonst wohl kaum eine besondere Fertigkeit erlangen können. Auf gesättigten Märkten gibt es im allgemeinen nur drei Möglichkeiten zu bestehen: Entweder haben wir ausgezeichnete Beziehungen, oder wir sind zu herausragenden Leistungen im Stande, oder wir erbringen eine Leistung um einen deutlich niedrigeren Preis als die Konkurrenz. Manche Aufgabenstellungen erfordern eine spezialisierte Fertigkeit, andere wiederum sind nur zu lösen, wenn ein umfassendes Verständnis über unterschiedliche Gestaltungsbereiche besteht. In solchen Fällen kann es von Vorteil sein, alles einmal ausprobiert zu haben. Wenn es darum geht, bahnbrechende und neuartige Leistungen zu erbringen, so kommt es zu solchen Innovationsschüben vor allem dann, wenn besondere Talente und Vorstellungen miteinander verknüpft werden, die bislang in keinem Zusammenhang gesehen wurden. Aus einer Kombination von Dingen, die sich normalerweise fremd sind oder sich gegenseitig ausschließen, entsteht am ehesten etwas Neues.

 

Ist die Kopfarbeit in allen Bereichen ein wichtiger Faktor? Bedarf es für eine gute Gestaltung eines konzeptionellen und vernetzten Denkens?

 

Wir können nicht alles wissen. Gerade deshalb ist es äußerst hilfreich, sich mit möglichst vielen Menschen mit unterschiedlichsten Spezialisierungen austauschen zu können um anschlussfähig zu sein. Wir sollten daher die Sprache, das Vokabular möglichst vieler Bereiche kennen, auch wenn wir die damit in Beziehung stehenden Fertigkeiten nicht beherrschen. Wenn ich zum Beispiel bei einer Typografin eine neue Schrift bestelle, dann sollte ich mich mit ihr über typografische Details austauschen können, auch wenn ich keine Ahnung habe, wie man zu einem perfekten Hinting oder Kerning gelangt. Sich nicht fachspezifisch ausdrücken zu können, ist eben meist von Nachteil. Ein Basiswissen ist auch bei jenen Themen erforderlich, die Inhalt einer Gestaltungsarbeit sind. Arbeite ich für eine Bank, sollte ich etwas von Geldgeschäften verstehen; arbeite ich für die Bekleidungsindustrie, dann sollte ich eine Ahnung von der Rolle der Mode in der Gesellschaft besitzen. In diesem Sinne sollte ich immer ein Allrounder sein, also jemand der sich darauf versteht, sich gedanklich in andere hineinzuversetzen, zumindest so weit, dass ich die Aussagen und Vorstellungen meiner Auftraggeber verstehe.

 

Also finden sie grundsätzlich, dass sich durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien im Design nicht so viel verändert hat?

 

Es hat sich für die Gestalterinnen als Menschen unglaublich viel verändert. Die Zeitspannen, die uns zugestanden werden, um Arbeiten zu verrichten und die Honorare, die für bestimmte Leistungen gefordert werden können, haben sich immer wieder drastisch geändert. Diese Veränderungen stehen durchaus mit den Medienentwicklungen in einem Zusammenhang. Fernsehen - in seiner Blütezeit - war ein Medium, das sich auf ein Millionenpublikum verlassen konnte. Dementsprechend hoch waren die Summen, die für eine attraktive Gestaltung einer Sendung eingesetzt werden konnten. Im Internet sind wir mitunter auf einer Ebene einer "face to face" Kommunikation angelangt. Dementsprechend niedriger sind die Gelder, die für jedes einzelne Gestaltungsobjekt ausgegeben werden können. Das Internet ist vielfach ein so genanntes "Echtzeitmedium". Was jetzt geschieht, muss dort auch mit möglichst geringer Zeitverzögerung gespiegelt werden. Atemlos laufen wir den Ereignissen hinterher und bemühen uns, auf Neuerungen der Konkurrenz zu reagieren. Die aktuellen Medienentwicklungen haben zu einer Aufsplitterung der Wege zum Kunden geführt, die nicht mehr so effizient zu bewältigen ist, wie das zum Beispiel im Zeitalter klassischer Printprodukte eventuell noch möglich gewesen wäre.

 

Was meinen sie mit Aufsplitterung?

 

Damit meine ich, dass viele Unternehmen heute überall präsent sein müssen: in Magazinen, im Internet, auf Social-Media-Plattformen, im Fernsehen, etc. Die zur Verfügung stehenden Summen für kommunikative Bemühungen sind nicht mit der Vielzahl der medialen Wege mitgewachsen.

 

Wie lässt sich heute demnach größtmögliche Aufmerksamkeit erzielen?

 

Die technologischen Entwicklungen haben nicht nur Nachteile, sondern selbstverständlich auch eine ganze Reihe von Vorteilen mit sich gebracht. Wenn es gelingt, eine Botschaft in die Welt zu setzen, die Menschen wirklich berührt und bewegt, dann sind sie unter Umständen dazu bereit, die Verbreitung einer solchen Idee selbst zu übernehmen. Mitunter gelingt es, Kettenreaktionen auszulösen, die es in dieser Form in klassischen Medienkanälen nur selten gegeben hat. Als Gestalterin muss ich dabei nicht nur Kontrolle abgeben, sondern mich sogar darum bemühen, dass eine Botschaft vom Publikum modifiziert, abgeändert und variiert werden kann. Wenn die entsprechenden Ressourcen fehlen, ist es heute sicherlich schwieriger geworden, breite Aufmerksamkeit auf sicherem Wege zu erzielen. Ich bezweifle, dass irgend jemand mit Gewissheit sagen kann, wie Publikumsreaktionen sich in die gewünschte Richtung lenken lassen. Selbstverständlich existieren eine ganze Reihe von Hinweisen darauf, was so noch nie funktioniert hat. Gestalter können also versuchen, Fehler zu vermeiden und sich darum bemühen, den Nerv der Menschen zu treffen.

 

Grundsätzlich kann der Gestalter also nie wissen, ob und wie etwas funktioniert? Es muss experimentiert werden?

 

Ja. Wenn du dich aus dem Fenster lehnst, kannst du fallen. Wenn du das nicht machst, bekommt dich niemand zu sehen. Wer auf Nummer sicher geht, kann negative Reaktionen voraussichtlich vermeiden. Auf formale Lösungen, an die wir uns bereits gewöhnt haben, werden wir nur selten heftig reagieren. Wenn ich jemanden also begeistern will, etwas bewegen möchte, dann muss ich etwas versuchen, das vorher so noch nicht da war. Ich muss ein Risiko eingehen, um herauszustechen. Dabei besteht natürlich auch immer die Gefahr, dass etwas nicht angenommen wird und scheitert.

 

Es ist also ein Mythos der heutigen Zeit, dass es in einer globalisierten Welt leichter wird, Trends zu folgen, die zum Erfolg führen?

 

Ja, viele Gestalter verbreiten eine solche Auffassung. Es wird so getan, als ob wir wissen würden, welche Konsequenzen unser Handeln nach sich zieht. Jedoch, wenn wir mehrere Gestalter befragen, werden wir wahrscheinlich von jedem eine andere Antwort erhalten. Solange wir Menschen nicht als Maschinen betrachten, die nach vorgegeben Mustern lediglich auf Reize reagieren, sondern ihnen einen Entscheidungsspielraum zugestehen, müssen wir immer mit Überraschungen rechnen. Wir besitzen kein absolut gültiges Wissen. Ich gehe allerdings davon aus, dass sich dramatische Fehler vermeiden lassen. Dieses Wissen macht einen professionellen Gestalter aus. Aber ohne die Bereitschaft, es auch einmal anders zu versuchen, wird auch keine aufsehenerregende Gestaltung entstehen.

 

Hat die Gesellschaft nach ihrer Meinung ein bestimmtes mentales Bild vom Beruf des Gestalters bzw. von den unterschiedlichen Fachbereichen?

 

Nein, das glaube ich nicht. Manche sehen in Gestaltern so etwas wie Zauberkünstler, die die Fähigkeit haben, uns zu verzaubern, etwas zu verwandeln, einer Idee oder einem Objekt Glanz zu verleihen. Andere sehen im Gestalter einen Handwerker, der Arbeiten erledigt, die man selbst nicht erledigen kann oder erledigen will. Sie betrachten den Gestalter als eine Art verlängerten Arm, der oft sogar eigene Gestaltungsvorstellungen einfach technisch umsetzt. Wahrscheinlich seltener werden Gestalter als eine Berufsgruppe gesehen, die mit ihren Kompetenzen in der Lage sind, komplexe Aufgabenstellungen und Probleme zu lösen. Die Vielfalt der unterschiedlichen Spezialisierungen ist den meisten Menschen wahrscheinlich unbekannt. Die Gestaltungsbranche kennt bislang nur wenige Persönlichkeiten, denen eine gewisse Bekanntheit in der Bevölkerung gelungen ist. In Österreich hat es wahrscheinlich nur Neville Brody mit dem Redesign des ORF geschafft, auch außerhalb der Branche wahrgenommen zu werden. Das ist inzwischen jedoch auch schon wieder Geschichte.

 

Aber erzeugen diese Persönlichkeiten gerade durch ihre Präsenz in der Öffentlichkeit nicht eine bestimmte Vorstellung von dem, was ein Gestalter ist? Gibt es keine Kategorien, in die sie eingeordnet werden?

 

Ich glaube, dass die meisten Menschen überhaupt kein Bild über unsere Branche besitzen. Für unsere Branche bleibt im Bereich Öffentlichkeitsarbeit also noch viel zu tun. Gestalter wenden sich traditionell bei fast allen Veranstaltungen wie Ausstellungen, Konferenzen, Wettbewerbe, etc. vorwiegend bis ausschließlich an die eigenen Leute. Ein öffentliches Gespräch zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern ist mit wenigen Ausnahmen - wie der VLOW! in Bregenz - kaum zu beobachten.

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