Tirol – Tirolertum – Geschichte, Brauchtum, Tradition leben und erleben
Das Gruppendenken ist ein Grundelement unserer menschlichen Psychologie.
Wenn wir den Ideen Darwins folgen, dann kopieren wir Handlungsweisen ständig mit kleinen Variationen. Manche erweisen sich als erfolgreicher und werden daher weitergegeben und wiederum variiert. So können sich, im Laufe der Zeit, durch Versuch und Irrtum Muster herauskristallisieren. Wer sich nicht aus dem Fenster lehnt, wird auch nicht gesehen. Wer sich zu weit aus dem Fenster lehnt, läuft Gefahr zu stürzen. Dieser stufenweise Prozess der Wiederholung, mit dem Ziel, eine immer leistungsfähigere Form zu finden, kann zu einer, für einer Region spezifischen kulturellen Ausprägung führen. Vor allem dort, wo natür-liche Grenzen wie Berge oder Flüsse eine Region gegen fremde Einflüsse abschirmen, können die spezifischen Herausforderungen, besondere kulturelle Lösungen befördern. »Eine Nation ist eine Gruppe von Menschen, die der Ansicht sind, gemeinsame Vorfahren zu haben, und denen diese angebliche Tatsache zudem auch wichtig ist.« Kwame Anthony Appiah
Tirol ist keine Gemeinschaft von Menschen mit gleichen Zielen und Interessen. Kommunika-tive Initiativen müssen daher zwischen einem gemeinwirtschaftlichen Nutzens und privat-wirtschaftlichen Zielen unterscheiden.
»Rettet die abendländische Kultur … Wählt Christlich-Demokratische Union.« 1946 • »Überfremdung ist Völkermord!« Pegida-Demonstration am 9. November 2015 in München • »IDENTITÄT bewahren &
TRADITIONEN pflegen garantiert.« FPÖ –Die soziale Heimatpartei
»Wenn es um die kulturelle Tradition einer Gruppe oder eines Landes geht, taucht besonders häufig das Bild der Wurzeln auf.« Maurizio Bettini Die mit der Wurzelmetapher beschworene kulturelle Identität wird auf die ganze Gruppe ausgedehnt, ohne Rücksicht auf den Willen der Einzelnen. »Die Geschichte hat uns vermischt, aber diese Mischungen wurden auf ein und denselben Stamm mit ein und denselben Wurzeln aufgepfropft. Die Pfröpflinge haben den Baum bereichert, aber es sind die Wurzeln und der Stamm, die den Ästen und Blättern des Baumes Nahrung gaben.« Marcello Pera »Die Wurzeln spielen in der zeitgenössischen Identitätsmetaphorik eine zentrale Rolle. Metaphern sind nichts Neutrales, sie besitzen für unsere Wahrneh-mung der Realität eine prägende Kraft. Sie sind nicht nur Ornament, sondern ein wirkmäch-tiges Erkenntnisinstrument.« Maurizio Bettini
»Giner-Jesukind» Überregionale Bedeutung erlangte der 1756 in Thaur geborene Johann Giner der Ältere als Krippenschnitzer. Seine Krippen zählen zu den schönsten Tiroler Werken dieses Genres.
Illustration: Tiroler Paar, Bildpostkarten aus der Zeit um 1900 – Findige Touristiker haben die Wirkung farbenprächtiger Volkstrachten entdeckt und daher Brauchtum unterstützt und gefördert. Was ist jedoch echt, was hohles Klischee? »Es gibt keine natürlichen Grenzen. Geht man erst einmal über das Dorf mit seinen direkten Kontakten hinaus, ist ein Volk stets eine Gemeinschaft von Fremden. Identitäten werden zwischen Zugehörigen und Außen-stehenden ausgehandelt. « Kwame Anthony Appiah
Illustration: Franz von Defregger, Andreas Hofer, 1901 – Trachten sind auch bei jungen Städtern en vogue. • Marken entwickeln sich auch auf der Basis von Systemen der Ähnlich-keit und formalen Verwandtschaft. Auf welche Orientierungsmuster berufen sie sich in ihrem Zusammenleben? Wie sehr wollen sie Zuge-hörigkeit oder Eigenständigkeit bekunden? Besondere Aufmerksamkeit wird vor allem dem »Einmaligen« geschenkt. Was nicht ins gewohnte Schema passt, wird jedoch auch häufig ausgeblendet oder abgewertet. Der von Andreas Hofer angeführte Freiheitskampf gegen bayerische und französische Fremdherr-schaft trug reaktionäre Züge. Der im Laufe der Zeit von allen Seiten instrumentalisierte »Volksheld« ist immer noch für eindrucksvolle Aufmärsche gut.
Kaiser Maximilian I. gestand den Tirolern zu, im Kriegsfall keine Truppen stellen zu müssen. Im Gegenzug sollten sie sich notfalls selbst verteidigen. So entstanden die Schützen-kompanien deren Erkennbarkeit auf besonderen Formen der Bekleidung beruht.
Obwohl der Katholische Glauben in Tirol stark verbreitet war haben sich eine Reihe von heid-nischen Bräuchen gehalten. Durch das Läuten von Glocken und Schellen und das Tragen furchteinflößender Masken sollen zum Beispiel bei Perchtenläufen die bösen Geister des Winters gebannt und vertrieben werden.
»Heimat ist eine räumlich-soziale Einheit mittlerer Reichweite, in welcher der Mensch Sicherheit und Verlässlichkeit seines Daseins erfahren kann, sowie ein Ort tieferen Vertrau-ens: Heimat als Nahwelt, die verständlich und durchschaubar ist, als Rahmen, in dem sich Verhaltenserwartungen stabilisieren, in dem sinnvolles, abschätzbares Handeln möglich ist – Heimat also als Gegensatz zu Fremdheit und Entfremdung, als Bereich der Aneignung, der aktiven Durchdringung, der Verlässlichkeit.« Christian König
Illustration: Swarovsky Kristall, Brillantes Herz
»Das schöne Funkeln des Nutzlosen« Maik Novotny
1995, zum 100. Firmenjubiläum von Swarovsky wurde André Heller beauftragt eine »Kristall-welt« mit »Wunderkammern« zu entwickeln. Heute werden bis zu 800.00 Besucher pro Jahr erwartet. Eine Privatinitiative prägt somit ebenfalls das Bild einer Region.
Aufgrund einer zunehmenden Homogeni-sierung von Kulturen und Märkten entsteht eine neue Wertschätzung von Differenz, Eigenständigkeit und Tradition. Es sind die unzähligen mythologisch aufgeladenen Orte eines Landes, die religiösen Bräuche, generationsübergreifende Dialekte oder Rezepte, die eine (imaginäre) Welt der Differenz bilden. Es existiert und wirkt vorwiegend, was uns nahe gebracht wird. Das Bild von Tirol wird durch eine unüberschaubare Vielzahl medialer Kommunikate geprägt.
»Heimat ist die Hoffnung auf einen anver-wandelbaren Weltausschnitt; die Sehnsucht danach, einen Platz in der Welt zu finden oder zu schaffen, an dem die Dinge (die Pflanzen und Bäume, Berge und Bäche, Brücken und Straßen, Häuser und Hütten, Menschen und Tiere) zu uns sprechen, uns etwas zu sagen haben.« Hartmut Rosa
»Die Aversion gegen alles Aufklärerische war dermaßen groß, dass das vielleicht noch in den Hinterköpfen steckt.« Forum-Alpbach-Präsident Fischler
»Es ist ein Tirol-Paradoxon, dass es seine heile, glorreiche Vergangenheit umso stärker beschwört, je offensichtlicher die neuen sozialen Gegebenheiten werden. Der Fremden-verkehr wirbt mit sensenschwingenden Almbauern und Sennerinnen im Dirndl. Über jedem zweiten Bartresen hängt eine alte Mistgabel. Der Tourismus gilt als Jobmotor.« Edith Meinhart