Die so genannte »Digitale Transformation« wird gerne als eine Art unausweichliches Naturereignis beschrieben. Die Zukunft hängt jedoch durchaus auch von unseren Entscheidungen ab. Deshalb stellt sich mir die Frage: Sind wir die Gefangenen von selbst produzierten Bildern? Ist das, was wir vielleicht können, auch das was wir wollen? Oder übertragen wir einfach tradierte Vorstellungen auf jede sich ergebende Situation. Sind die angekündigten Transformationen eine Frage zwischen – Paradies, Himmel, Wachstum, Fortschritt, Glück – oder – Hölle, Disruption, Untergang, Arbeitslosigkeit? Lassen sich unterschiedliche Entwicklungen überhaupt gegeneinander aufrechnen? Kann eine positive technologische Entwicklung menschliche Katastrophen aufwiegen oder entschuldigen?
Ich möchte mich deshalb dem Thema aus einem heute eher unüblichen Blickwinkel nähern – aus dem der menschlichen Perspektive. Markus Gabriel (Die Revolution der Digitalisierung. 2018) stellt fest: »Menschen sind spezifische Antworten auf die Frage, was Menschen sind.… Wir erzeugen uns stets bis zu einem gewissen Grad selbst, indem wir Meinungen darüber haben, wer wir sind.«
Menschen sind Lebewesen und deshalb organisierte Einheiten, die unter anderem zu Stoffwechsel, Fortpflanzung, Reizbarkeit, Wachstum und Evolution fähig sind. Lebewesen sind am Überleben interessiert und versuchen deshalb die dafür notwendigen Funktionen, wie Atmung, Blutkreislauf, Verdauung, Bewegung etc., zu steuern. Dazu bedarf es eines hochkomplexen Systems aus Sensoren, Systemen des Informationsaustauschs, der Informationsverarbeitung und der Informationsspeicherung. Menschen sind hoch komplexe biologische Systeme, deren Funktionsweise wir bis ins letzte Detail auch noch nicht verstanden haben. Funktionsstörungen des Körpers können immer auch tödliche Folgen haben. Deshalb ist die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit oberste Priorität. Wir haben es deshalb so eingerichtet, dass die instinktiven Reaktionen im allgemeinen außerhalb unserer bewussten Steuerungsfähigkeit liegen. Es ließe sich auch sagen, unser Organismus ist so eingerichtet, dass er uns versucht an für ihn schädlichen, gefährlichen oder problematischen Handlungen zu hindern. Der menschliche Körper hat sich vorwiegend im Zusammenspiel mit »natürlichen« Lebensumgebungen entwickelt. Offen ist deshalb, wie sehr Menschen auf ein Leben in weitestgehend »künstlichen« Umgebungen vorbereitet sind.
Ausrichtung auf und Anpassung an die wahrnehmbare Umwelt
Körper leben in und von einer sie umgebenden Welt. Um sich in dieser Welt orientieren und mit ihr interagieren zu können, haben Lebewesen auch nach außen gerichtete Wahrnehmungsorgane entwickelt. Mit deren Hilfe ist es Menschen gelungen, sich an die Umwelt anzupassen, aber sie auch als eine Art Erweiterung des eigenen Organismus zu gestalten. Menschen steuern nicht nur sich selbst, sondern trachten danach, möglichst viel Macht zur Steuerung jener Funktionssysteme zu erlangen, die ihr Überleben nicht nur sichern, sondern ihr Leben auch angenehmer machen.
Menschliche Wahrnehmung zielt nicht auf ein lückenloses Abbild der Lebensumgebung sondern ist auf der Suche nach Eindrücken, die wir für bedeutsam erachten. Was uns umgibt ist von undurchschaubarer Komplexität. Der Körper bemüht sich deshalb um Reduktion der verfügbaren Eindrücke um zu einer Fokussierung zu gelangen, die es möglich macht bestimmte Handlungen zu priorisieren. Minimale Voraussetzung für so etwas wie Selbstbewusstsein ist die Wahrnehmung des eigenen Körpers in Bezug auf mögliche Interaktionen mit der Umwelt.
Wir blicken mit unseren Sinnen nicht wie durch ein Schlüsselloch in die Wirklichkeit hinein, sondern wir sind aktiver Teil dieser Wirklichkeit. Ziel sinnlicher Wahrnehmung ist die Selektion von Handlungsoptionen, mit dem Ziel, die Welt uns gefügig zu machen. Oder wie Martin Seel (Theorien. 2009) schreibt: »Um wahrzunehmen, muss ich Dinge auf mich wirken lassen. Um zu begreifen, muss ich Begriffe übernehmen. Um zu urteilen, muss ich mich Urteilen unterwerfen. Um mich auf etwas zu richten, muss ich mich nach etwas richten. Anders geht es nicht. Anders kann ich meinem Spürsinn nicht folgen, meine Begriffe nicht bilden, zu meinen Urteile nicht gelangen und meinen Weg nicht machen. Wir greifen nach der Welt, damit sie nach uns greift.« Bei aller Abhängigkeit von unserer Lebensumgebung, eröffnen sich uns sowohl gewisse Spielräume der Reaktion auf, als auch der Interpretation von Wahrnehmungen.
Wahrnehmungsorgane liefern im Gegensatz zu technischen Sensoren keine isolierten Daten. Alle Sinneswahrnehmungen werden immer miteinander verknüpft und konzentrieren sich in ihrer Verarbeitung auf deren Relevanz für den eigenen menschlichen Körper. Wie umfassend und in welcher Form jeweils bereits gemachte Erfahrungen bei der Entwicklung von emotional gefärbten Einschätzungen wirken ist wahrscheinlich unterschiedlich. Ob sich Maschinen programmieren lassen, die im Vergleich zu Menschen ähnliche Emotionen aus der Verarbeitung von intern und extern gewonnen Informationen entwickeln können, ist noch nicht gewiss.
Wir hören auf, jemandem zuzuhören, sobald wir uns den Finger verbrennen. Wir tasten die Umwelt nicht nach Daten ab, sondern erfühlen die Bedeutung von Ereignissen mittels komplexer Stimmungsanalysen. Wir fragen nicht danach, was sich uns alles zeigt, sondern danach, was das, was sich zeigt für uns bedeutet. Und diese Interpretationen sind individuell, da sie sich immer in Relation zu unserer konkreten Lebenssituation entwickeln.
Mensch und Umwelt sind nicht entgegengesetzte Teile eines übergeordneten, sondern Teil eines gemeinsamen Ganzen. Wir können uns nicht aus der Welt nehmen. Sie ist unser Lebensraum. Unser Blick auf die Welt ist immer abhängig von der Situation, in der wir uns gerade befinden. Wir erfassen unsere Lebensumgebung nicht als eine Ansammlung von vereinzelten Elementen, sondern immer als zusammenhängendes Geschehen und versuchen von diesem Ausgangspunkt Einzelheiten genauer zu untersuchen. Unsere Wahrnehmung bildet die Schnittstelle zwischen uns und der Welt. Wir können in unsere Umwelt nur auf das reagieren, was sich zeigt.
Technologische Schnittstellen bilden jedoch immer öfter Brücken zu Ereignissen, die uns verborgen bleiben, und die wir deshalb auch durch unser Handeln nicht unmittelbar »begreifen«. Gerade dann, wenn wir glauben etwas wunschgemäß zu steuern und im Griff zu haben, entgleitet es uns mitunter und Prozesse können angestoßen werden, von denen wir nicht einmal eine Ahnung haben. Wir erleben uns heute bestenfalls als eine Art »Zauberer« in einer »Märchenwelt«. Schritt für Schritt entwickelt sich ein »smartes« Environment von Serviceangeboten, die sich direkt »abrufen« lassen. Dabei kommen wir mit den Konsequenzen unserer Wünsche nicht mehr in »Berührung«.
Die Interaktion mit Lebensumgebungen ist kein menschliches Privileg. Auch Tiere, Pflanzen und eben auch Maschinen sind in der Lage auf einen »Input« mit einem »Output« zu reagieren. Der Umkehrschluss, dass Menschen nur noch komplexere Maschinen seien, greift jedoch zu kurz. Denken ist mehr als nur reagieren. Wir sind in der Lage kurzfristige mit langfristigen Zielen zu kombinieren. Insofern sind wir nicht im Augenblick gefangen, sondern sind zumindest grundsätzlich fähig Eindrücke aus der Vergangenheit auf eine optionale Zukunft zu projizieren.
Der gesamte menschliche Körper ist das Ergebnis seiner Lebensgeschichte. Was geschehen ist, hinterlässt nicht nur Spuren in unserem mentalen Gedächtnis, sondern formt unseren Körper umfassend. Wir verkörpern unser Leben. Aus dem Körper heraus entwickeln sich unsere Handlungen und unser Denken. Wir haben im Kopf keinen Computer eingebaut auf dessen Speicherplatte wir mithilfe von Programmen nach Lösungen suchen. Wir benutzen unsere Erfahrungen um Korrelationen zwischen Wahrnehmungen herzustellen. Was könnte Ursache und was Folge sein und was bedeutet diese mögliche Korrelation für uns. Welche Konsequenzen und welche Handlungsoptionen ergeben sich daraus. Selbst wenn wir erst im Nachhinein versuchen unserem Handeln einen Sinn zuzusprechen, so können diese Reflektionen zukünftige Handlungsprioritäten beeinflussen. Im Zusammenleben der Menschen entstehen immer wieder Irritationen, da wir gerne davon ausgehen, dass »ähnliche Körper« auch mit vergleichbaren Vorstellungen auf bestimmte Situationen reagieren müssten. Manche Menschen neigen daher zu der Annahme, dass es einer »Andersartigkeit« der Körper geschuldet sein muss, damit unterschiedliche Vorstellungen und damit auch Reaktionsmuster sich entwickeln. Die Bedeutung der Lebensumstände wird dabei gerne ignoriert oder heruntergespielt. Die im Körper angeblich eingeschriebenen Besonderheiten dienen einer Klassifikation und damit verbunden einer Zuweisung von Rollen und Anspruchsrechten auf Ressourcen.
Wahrnehmung / Abstraktion / Schlussfolgerungen
Wir versuchen meist zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem zu unterscheiden. Dadurch können wir Muster ersinnen die uns bei dem Versuch, uns zu orientieren, unterstützen. So entwickelt sich in uns eine abstrakte, indirekte, gemachte und erdachte Welt. Abstraktion gelingt nur, indem wir Ungleiches zu Gleichem machen. Abstraktionen sind das Ergebnis kollektiver Anstrengungen. Wir können sie nur beschränkt selbst so entwickeln, wie sie von anderen verstanden werden. Wir müssen sie weitestgehend in sozialem Austausch erlernen. Bildungsinstitutionen haben in diesem Zusammenhang die Aufgabe, mehr oder weniger genormte Vorstellungs- und Interpretationsmuster zu vermitteln. Anerkennung erhält, wem es gelingt entsprechende Anpassungsleistungen vorzuweisen.
Es wird sich zeigen, wie sehr durch eigene Datenvergleiche von Algorithmen entwickelte Klassifizierungen von menschlichen Traditionen abweichen, wobei wir nicht vergessen sollten, dass diese Abstraktionen sich auch von Sprachkultur zu Sprachkultur immer schon unterscheiden. Nicht wenige der Schlussfolgerungen die Menschen aus Wahrnehmungseindrücken gewonnen haben, waren falsch. Dies hatte für die evolutionäre Entwicklung des Menschen keine nachteilige Folgen, solange Fehlentscheidungen nicht für sehr viele Menschen schwerwiegende Konsequenzen nach sich zogen. Fehlschlüsse haben zu neuen Handlungsversuchen geführt und einige wenige haben neue Entdeckungen ermöglicht. Die Fehlertoleranz, die im zwischenmenschlichen Miteinander eine zentrale soziale Funktion darstellt, tritt heute auch in gefährlichem Zusammenhang mit globalen Strukturen auf. Indem heute einzelne Personen und Institutionen einen Einfluss in globalem Maßstab ausüben, können Fehlentscheidungen katastrophale Folgen nach sich ziehen. Umso dringender stellt sich die Frage, inwieweit datenbasierte Modelle vermehrt als Entscheidungsgrundlage dienen sollen, ob diese Modelle, da sie ein Ergebnis menschlicher Programmierungen darstellen, ebenso fehlerhaft sein können, oder ob Systeme, die sich weitestgehend selbständig entwickelt haben, deshalb höchstes Vertrauen verdienen?
Denken bedeutet, Modelle der Wirklichkeit zu entwickeln, die immer zugleich sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft weisen. Diese Modelle sind nie vollständig sondern grundsätzlich lückenhaft. Die Komplexität der Wahrnehmungen wird über Abstraktionsversuche reduziert. Es handelt sich meist nicht um statische Modelle, sondern um sich in Veränderung befindliche Strukturen. Aber wie Alfred Korzybski (Science and Sanity, 1933, p. 58) treffend schreibt: »Eine Landkarte ist nicht das Gebiet, das sie repräsentiert, aber wenn sie korrekt ist, ist sie in ihrer Struktur der Struktur des Gebietes gleich (oder ähnlich), worin ihre Brauchbarkeit begründet ist.« Jedes Denken in »Karten« führt jedoch zu Rückkoppelungseffekten auf das kartografierte Feld. Jedes mentale Modell ist mit einem konkreten menschlichen Körper und seinen je spezifischen Reaktionen verknüpft. Jede Handlungsoption ist mit einer spezifischen emotionalen Wertung verbunden. Die innere Wahrnehmung des Funktionszustands unseres Körpers und äußere sinnliche Wahrnehmungen werden permanent miteinander abgeglichen. Der Körper steuert unsere Wahrnehmung. Unsere Wahrnehmung steuert unseren Körper. Handlungen und mentale Modelle beziehen sich aufeinander. Die Modelle steuern unser Verhalten. Unsere aus Handlungen gewonnen Erfahrungen verändern unsere Modelle.
Wir leben somit weder im Augenblick, noch in der allgemeinen historischen Realität. Menschen modifizieren ihre Erinnerungen jeweils so, dass sie mit den gegenwärtigen Vorstellungen ein optimiertes und konsistentes Modell ergeben. Wir können Erfahrungen vergessen als auch modifizieren. Seit wir begonnen haben Ereignisse aufzuzeichnen, erleben wir eine ständige Diskrepanz zwischen Dokumenten und persönlichen Erinnerungen. Dadurch, dass wir Spuren unseres Denkens und Handelns konservieren, müssen wir immer wieder entscheiden, ob unsere Erinnerungen oder unsere Aufzeichnungen falsch sind. Wem ist mehr zu misstrauen – Dokumenten oder unserem »Bauchgefühl«? Unsere Erwartungshaltungen lenken den Fokus unserer Aufmerksamkeit. Es gelingt uns meist gut zu übersehen, was wir nicht wahrnehmen wollen. Anhand der aus der Vergangenheit gewonnen Erkenntnissen, entwickeln Menschen entsprechende Zukunftsmodelle. Diese Modelle haben wiederum einen entscheidenden Einfluss auf unseren körperlichen Zustand. Gerade weil wir immer wieder mit Überraschungen, mit Unerwartetem konfrontiert werden, versuchen wir intensiv uns Bilder davon zu machen, was uns erwarten könnte. Mit anderen Worten, auch Zukunftsvorstellungen überschatten unsere Gegenwart. Zukunftsvorstellungen ergeben sich jedoch nicht »natürlich« aus Entwicklungen, sondern werden geprägt und nur selten gemeinschaftlich entwickelt.
Schon sehr lange wurde einzelnen Menschen die Fähigkeit zugesprochen als »Seher« und »Propheten« die Zukunft vorher sehen zu können. Damit verbunden ist die Vorstellung von unausweichlichen Prozessen. Entscheidungen werden gerne dann als »rational« bezeichnet, wenn sie angeblichen Gesetzen gerecht werden. Die von Menschen geschaffenen Umstände werden dadurch »entmenschlicht« und als alternativlos dargestellt. Wer dennoch nach Alternativen sucht, wird oft als irrational oder verrückt diffamiert. Heute soll Ungewissheit, unter anderem, durch statistische Berechnungen verfügbar gemacht werden. Dies kann insofern gelingen, als jede Prophezeiung einen Einfluss auf unser zukünftiges Handeln nach sich zieht. Wir nennen dies »selbsterfüllende Prophezeiung«.
Kommunikation / Austausch von Erfahrungen / technische und mentale Manipulation
Um uns mit anderen Menschen austauschen zu können, haben wir Methoden entwickelt, mit deren Hilfe es uns ansatzweise gelingt, Gedanken in unterschiedliche Zeichensysteme zu übersetzen. Die Menschen haben gelernt, Dingen als auch Lebewesen abstrahierte Lautfolgen zuzuordnen und auf diesem Wege eine sprachbasierte Zivilisation zu entwickeln. Dies bedeutet, dass wir in der Lage sind, uns mit fremden mentalen Modellen zu konfrontieren. Nicht alle Übersetzungen in mediale Kommunikate werden gleichwertig behandelt. Es wurden eine Reihe von Konventionen eingeführt, die jedem Dokument eine bestimmte Wertigkeit zuweist. So gelten manche Dokumente als jeder Subjektivität enthoben, als unverrückbar und absolut, andere hingegen als subjektiv und somit als weitestgehend bedeutungslos. Digitale Medien präsentieren sich in einer gewissen Gleichförmigkeit. Die Einstufung der Wertigkeit von Dokumenten konnte sich dadurch verändern. Gegenüber »offiziellen« Dokumenten gewannen »private« Dokumente, wenn sie als »unverfälscht und authentisch« gelten, an Wirkungsmacht. In digitalen Medien lassen sich jedoch Dokumente, die als private Äußerungen erscheinen, auch mit Hilfe von automatisierten Programmen herstellen. So konnten »individualisierte« Botschaften zu einer Art neuem »Massenmedium« mutieren.
Es sind generell zwei Arten entstanden, um auf unsere Umwelt einzuwirken – mit Hilfe unmittelbarer Eingriffe, über zum Beispiel handwerkliche und maschinelle Techniken, oder indirekt, über medial vermittelte mentale Manipulationen. Mit der Zeit wurde die Arbeit mit dem »Kopf« als wirkungsmächtiger eingestuft als handwerklich, technische Tätigkeiten. Ludwig Wittgenstein (1998, Tractatus logico-philosophicus. Satz 5.6) behauptet: »Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.« Es ist jedoch nicht nur die gesprochene und geschriebene Sprache, mit dem die Welt gebaut und geordnet wird, sondern es waren wahrscheinlich immer auch visuelle Darstellungsformen, die einen entscheidenden Einfluss auf die Vorstellungen der Menschen hatten. Die Zeiten, die Menschen mit der Auseinandersetzung mit medialen Kommunikaten verbringen, ist kontinuierlich gestiegen und hat im allgemeinen einen Umfang angenommen, der es schwierig macht, die ursprünglichen Quellen von Vorstellungen zu identifizieren und auseinanderzuhalten.
Soziale Interaktionen hatten und haben auch eine unmittelbare körperliche Dimension. Wir berühren einander mit unseren Körperteilen als auch mit unserem Körperausdruck. Neben Mimik und Gestik haben unmittelbare körperliche Berührungen einen entscheidenden Einfluss auf unsere Beziehung zu anderen Menschen. Wir erfahren so »hautnah« Kräfte der Anziehung oder den Wunsch zur Distanz. Unmittelbarer körperlicher Kontakt wird heute aus der Öffentlichkeit in speziell dafür vorgesehene Räume verdrängt, wo dieser mitunter umso intensiver ausgelebt wird. Die Techniken des körperlosen Kontakts, die wir »soziale Medien« nennen, haben vielfach die unmittelbare Begegnung nicht unbedingt verdrängt, aber mit Wahrscheinlichkeit verändert. Eva Illouz (2018, Warum Liebe endet. Seite 211) spricht von einem neuen sexuellen Regime, »in dem Technologie, Visualität (ein Strom pornografischer Bilder im Internet) und eine rasche Fluktuation anonymer Partner den Körper zur einzigen Quelle von Handlungsfähigkeit machen und aktiv von allem abkoppeln, was wir traditionell unter Begehren, Selbst und Gefühl verstanden.« Es ist zu vermuten, dass eine zunehmende »Virtualisierung« unserer Weltbeziehungen möglich wird und Menschen ihr Handeln als Spielzüge verstehen, die wie in ComputerGames zwar Einfluss auf den eigenen »Score« haben, aber aus denen keine Verantwortung gegenüber einer konkreten Lebensumgebung erwächst.
Virtuelle Realitäten / Weltbilder
Es existiert nur eine Welt in der die Körper zuhause sind. Es lassen sich jedoch beliebig viele Welten erdenken. Es bleibt uns somit nicht erspart, im Kontakt mit anderen Menschen auf verschiedene Vorstellungen zu stoßen. Wir haben unterschiedliche Möglichkeiten auf die Andersartigkeit von Differenzerfahrungen zu reagieren. Wir können unsere eigenen Gedankenkonstruktionen in Frage stellen. Wir können versuchen die Beschränktheit des eigenen Erfahrungshorizonts zu akzeptieren, oder wir können jedes, uns fremd erscheinende Modell, für »verrückt« erklären. Im Kontakt mit anderen Menschen machen wir nicht nur die Erfahrung, dass diese unterschiedliche Ansichten zu erkennen geben, sondern dass das, was uns zur Anschauung gebracht wird, nicht vollständig den Modellen entspricht, die unser Gegenüber entwickelt hat. Man kann uns etwas vormachen und wir erfahren die Gedankenfülle anderer immer nur in Ausschnitten. Aus der Vorstellung, aus den Spuren, die Menschen in der Welt hinterlassen, würden sich konkrete Rückschlüsse auf Motive und Vorstellungen ziehen, hat sich eine Vielzahl von technologischen Methoden entwickelt Spuren zu verfolgen, zu archivieren und auszuwerten. Nicht wenige Menschen lassen sich auch gerne freiwillig überwachen, um auf diesem Wege in den Genuss maßgeschneiderter Angebote und Services zu gelangen, als auch in der Hoffnung, dass Überwachungssysteme sie vor unlieben Überraschungen bewahren.
Die Möglichkeiten interpersonalen Austauschs haben äußerst komplexe Formen angenommen. Wir haben gelernt uns so zu zeigen, dass wir innerhalb unserer Netzwerke möglichst positive Wirkungen erzielen. Die Frage ist deshalb nicht, was uns im Augenblick bewegt, sondern wie ich mich zeigen muss, um mit dem, was ich zeige, attraktiv zu erscheinen. Die meisten digitalen Netzwerke sind so konstruiert, dass sie nur ein undifferenziertes Spektrum an Reaktionen ermöglichen. Individualität tritt hier nur vereinzelt als ausgefallene Position auf, sondern meist als minimale Variante innerhalb weitestgehend normierter Optionen der Selbstdarstellung.
In unmittelbaren Begegnungen sind Emotionen nicht »eingefroren«, sie sind keine feststehenden Zustände, sondern sie sind als resonante Reaktionen permanenten Veränderungen unterworfen. Mediale Eindrücke beginnen heute unmittelbare Begegnungen vermehrt zu überlagern. Decken sich medial vermittelte Bilder nicht mit denen einer direkten Konfrontation, kann diese Dissonanz eine gewisse Distanz erzeugen, oder eines der beiden Bilder muss als »falsch« eingestuft werden. Immer wieder entstehen Situationen, in denen unsere unmittelbaren Eindrücke in Konkurrenz zu medialen und immer häufiger digital transformierten oder künstlich erzeugten Artefakten geraten. Sobald wir demnach versuchen digitale Services als Orientierungshilfen zu benutzen, werden wir mehr oder weniger gezwungen unseren eigenen Wahrnehmungen weniger Bedeutung zu verleihen. Dadurch entwickeln sich auch neue Optionen einer subtilen Beeinflussung von Vorstellungen, indem die Struktur der Services bestimmte Handlungsoptionen bevorzugt unterstützt und andere unterdrückt.
Visionen verändern unseren Aktionsradius
Offensichtlich kommen heute viele mit der Vielgestaltigkeit und hohen Varianz der mentalen Modelle nicht zurecht. Die Idee, dass Kategorisierungen von richtig und falsch in vielen Situationen gar nicht möglich sind, stößt auf geringe Akzeptanz. Extreme Vereinfachungen und eindeutige als auch überraschende Positionen – »Nur ich kenne die verborgene Wahrheit und sie ist ganz anders, als Du bislang geglaubt hast!« – erfreuen sich daher großer Beliebtheit.
Da wir unsere Lebensumstände nicht einfach verlassen können, zeigt jeder Kontakt mit alternativen mentalen Modellen, die auf uns noch unbekannte Lebenswelten verweisen, auch Wirkung auf uns eigenes Modell. Je nach Einschätzung verändert sich der optionale Aktionsradius. In der Auseinandersetzung mit anderen Perspektiven kann sich unser eigener Horizont erweitern und Handlungsoptionen in unser Wahrnehmungsfeld rücken, die sich anhand einer Auseinandersetzung mit unserer unmittelbaren Lebensumgebung nicht ergeben hätten. Man könnte auch sagen, wir haben einen zusätzlichen Sensor für ein eventuell bislang bedeutungsloses Feld hinzugewonnen. So kann die Differenzerfahrung zwischen dem was möglich und dem was erreichbar ist, zu wachsenden Frustrationen führen. Unabhängig von allen Optionen, die uns in einer konkreten Situation zur Wahl stehen, erweitern sich die unerreichbaren Möglichkeiten. Um die Frustration der verpassten Gelegenheiten gering zu halten, versucht so mancher möglichst viele Angebote in kürzester Zeit zu konsumieren. Um mit Hartmut Rosa (2005, Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne) zu sprechen: »Wir haben keine Zeit, obwohl wir sie im Überfluss gewinnen.« Inzwischen macht es Sinn zu fragen: Wann reicht es? Wann haben wir genug? Ist mehr wirklich mehr?
Dank verschiedenster Übersetzungsmethoden von Vorstellungen in Zeichensysteme, ist eine körperliche Anwesenheit nicht zwingend erforderlich, um sich mit fremden Ideen auseinander zu setzen. Botschaften benötigen keine menschlichen Boten mehr. Überraschender Weise können mediale Kommunikate, deren Verursacher uns nicht persönlich bekannt sind, mitunter eine erstaunlich umfassende Wirkung auf unsere Mentalen Modelle haben. Anonyme, keiner konkreten Person zuzuordnende Botschaften verlieren nicht notwendigerweise an Glaubwürdigkeit. Im Rahmen der Entwicklung medialer Kommunikate sind Darstellungsmethoden entstanden, die uns in besonderer Form den Eindruck vermitteln, Einsichten zu enthüllen die sich einer unmittelbaren Wahrnehmung verweigern. Medien können unter anderem vorgeben, uns einen Blick auf Handlungsmotive zu ermöglichen. »Denkblasen« in Comics sind ein einfaches Beispiel für eine ganze Reihe von Erzählungsmethoden, die sich darum bemühen Intentionen erlebbar zu machen. Mediale Kommunikate nehmen deshalb inzwischen im Leben sehr vieler Menschen einen außerordentlich hohen Stellenwert ein. Viele Stunden werden mit dem Versuch verbracht, über die eigene unmittelbare Lebenswelt hinaus zu blicken, auch in der Hoffnung durch diesen Konsum Zusammenhänge besser verstehen zu lernen. Indem wir die »Entzifferung« der Welt an die Medienindustie delegieren, verblassen die Bemühungen sich selbst einen Reim auf die eigenen Wahrnehmungen zu machen. »Vorgedachtes« wird dabei mitunter zum eigenen Gedankengut umgedeutet.
Mit wachsendem Medienkonsum stieg und steigt auch der Aufwand Vorstellungen eine wahrnehmbare Form zu geben. Visionen werden sogar »begehbar«. Kirchen, Flagship-Stores, Vergnügungsparks etc. dienen uns als Erlebnisräume. Viele Menschen verbringen heute mehr Zeit in Lebensumgebungen mit Zeichencharakter, als in ungestalteter Natur. Viele der so gestalteten Environments wurden jedoch entwickelt um vorgegebenen Zwecken zu dienen. Es handelt sich also nicht um Spielflächen, die Menschen nach eigenen Vorstellungen und nach belieben nutzen dürfen.
Darüber hinaus ist es heute möglich uns mit immer perfekteren Illusionen zu täuschen. Computersimulation sind immer schwerer als solche zu erkennen. Mit anderen Worten, wir können den Eindruck gewinnen, dass wir von multiplen Lebenswelten umgeben sind. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn wir mit Medien in Kontakt geraten, die auf Basis unterschiedlicher Motive und Vorstellungen gestaltet werden. Da wir nicht in der Lage sind, uns anhand der divergenten Angebote ein einheitliches Bild zu machen und auf alle Aspekte gleichermaßen einzugehen, erscheinen Kommunikate, die vorgeben sich an unseren persönlichen Interessen auszurichten oder zum Beispiel durch ausgefallene Übertreibungen hervorstechen, als besonders attraktiv. Die Produktion von Medien ist meist durch bestimmte Interessen motiviert und sie zeigen uns daher kein repräsentatives Abbild der Welt, sondern vorwiegend ausgewählte Ausschnitte. Selbst eine intensive Beschäftigung mit medialen Angeboten kann extrem einseitige Weltbilder begünstigen.
Da es sich heute vielfach um Konsumangebote handelt, die uns als begehrenswert verkauft werden, erleben wir uns mit einer »Freiheit« der Wahl konfrontiert. Gleichzeitig ist vielen Menschen klar, dass die medial vorgestellten Handlungsoptionen nicht den realen Aktionsmöglichkeiten entsprechen. Der Aktionsradius erscheint, wie bereits angedeutet, dadurch eher zu schrumpfen, als zu wachsen. Mit jeder Entscheidung schließen wir etliche Alternativen aus. In den meisten Fällen sind wir gezwungen eine Auswahl zu treffen. So unsere Entscheidungen nicht nur uns selbst, sondern auch andere Personen betreffen, wachsen mit den Entscheidungsmöglichkeiten auch die Konfliktpotentiale. Oft führt das, was die einen für eine Ausweitung ihrer Freiheiten betrachten, zu Einschränkungen für andere, durch Ressourcenverschwendung, Umweltbelastung, Lärm und vieles mehr.
Im Informationszeitalter werden wir mit Informationen bombardiert, ohne dass man uns mitteilt, wo diese herkommen und ob die Quellen überhaupt zuverlässig sind. Und wir verbringen manchmal sehr viel Zeit damit um herauszufinden, womit wir uns beschäftigen wollen. Dadurch bleibt dann wenig Zeit für die eigentliche Beschäftigung. Durch die wachsende Anzahl von Blickpunkten sind wir mitunter nicht mehr im Stande Entwicklungen zu verfolgen und Zusammenhänge herzustellen. Unsere Welterfahrung zerfällt in einen Strom an eigenständigen Informationspartikeln. So genannte Massenmedien waren in den vergangenen Jahrzehnten zumindest in der Lage, den sozialen Diskurs auf ausgewählte Themenbereiche zu lenken. Heute bietet sich die Möglichkeit sich in eine personalisierte Medienwelt zurück zu ziehen und dennoch den Eindruck zu haben, umfassend informiert zu sein. Mit der wachsenden Anzahl der Angebote schwindet das Bewusstsein nur einen äußerst fragmentiert Blick auf die Vielfalt der Informationen zu erhalten. Nicht selten wird die Option, Informationen jederzeit abrufen zu können, mit eigenem Wissen verwechselt. Personen, die sich die Arbeit machen, große Datenmengen zu sichten, um daraus Schlüsse zu ziehen, haben durch die vermeintliche leichte Verfügbarkeit von Informationen es mitunter schwer sich zu rechtfertigen. Vor allem auf Basis wachsenden Wettbewerbsdrucks im industriellen Mediensektor besteht die Gefahr, dass bereits vorhandene Berichte lediglich überarbeitet und nicht neuerlich erarbeitet werden.
Vereinheitlichung / Synchronisation / Verhaltenssteuerung
Auf Grund der Vielfalt der verfügbaren Anschauungsmodelle wurden Methoden der Vereinheitlichung und Synchronisation entwickelt, die im allgemeinen als »Kultur« bezeichnet werden. Mittels »Kultur« werden ausgewählte Wahlmöglichkeiten vorselektiert. Je nach »Kulturmodell« werden bestimmte Selektionen verpflichtend vorgeschrieben, oder als besonders attraktiv und priorisiert angeboten. Anstatt uns mit negativen Konsequenzen zu drohen, wenn wir eigenwillige Entscheidungen treffen, werden uns bei diesem Modell besondere Vorteile versprochen, wenn wir uns erwartungsgemäß verhalten.
Ein vorrangiges Ziel medialer Kommunikate scheint darin zu bestehen, die Welt in erwünschte und unerwünschte Vorstellungen und damit verbundene Handlungsoptionen zu teilen. Jeder unerwünschte Handlungswunsch wird mit dem Bild einer entsprechenden Sanktion verknüpft. »Kultur« bedeutet am Ende nichts anderes, als den Versuch einer Organisation des menschlichen Zusammenlebens durch explizite Formulierung von Spielregeln. Diese Versuche die Handlungsfreiheiten der Menschen einzuschränken werden nicht widerstandslos hingenommen. Tagtäglich lehnen sich einzelne als auch Menschengruppen gegen Einschränkungsversuche auf. Um den Widerstand gegen die Einschränkung von Handlungsspielräumen zu reduzieren wird versucht, den Eindruck zu vermitteln, es würde es sich dabei um einen Schutzwall gegen Handlungen handeln, die unser aller Wohlleben bedrohen. Die rein statische Relevanz tritt dabei gerne gegenüber eindrücklicher Bilder in den Hintergrund. So fürchten sich wahrscheinlich mehr Menschen vor terroristischen Aktivitäten, als vor dem eigenen Lebenswandel.
Auch wenn es sich bei diesen, um Regulierung bemühten Zeichensetzungen um unmittelbar wirksame Bemühungen handelt, wie zum Beispiel dem Bau von Zäunen, haben diese zugleich immer auch eine symbolische Bedeutung. Wem welche Optionen offen stehen, kann nicht jeder für sich entscheiden, sondern wird vorgegeben. Wer diese Zuweisungen in Frage stellt, dem wird zugleich jede Handlungsfreiheit abgesprochen. Wir haben es somit geschafft, dass Menschen unmittelbar körperlich Grenzen erfahren, die vorerst im Grunde nur in unseren Vorstellungen existieren.
Damit wir »Kultur« nicht als Einschränkung sondern als Tor zur Freiheit empfinden, hat sich das Bild einer Kultur der Vielfalt entwickelt. Ein- und Ausgrenzung werden dabei als in Harmonie befindlich vermittelt. Wir dürfen und sollen uns in unserer »Individualität« präsentieren. Für diese Ausgestaltung unserer »individuellen« Entscheidungen steht uns ein Fundus vorgegebener Ausdrucksmuster zur Verfügung. Nachdem die Kombinationsmöglichkeiten zahllos sind, erscheint auch die Wahlfreiheit als uneingeschränkt.
Die Vorstellung eines Überwachungsregimes ist in diesem Modell positiv besetzt. Wir wollen in unseren Handlungsselektionen wahrgenommen werden. Und wir wollen, dass vor allem jene, deren Handlungen unseren Interessen widerstreben, beobachtet und zur Verantwortung gezogen werden. Diesem vermeintlichen Vorteil zu liebe, sind viele bereit die eigenen Handlungsspielräume einzuschränken und sich vorgegebenen Mustern anzupassen.
Die zugrundeliegende Konstruktion, wie wir in unser Lebensumgebung eingepasst werden, verliert an Sichtbarkeit. Etlichen Systemen – Geldwirtschaft, Warenproduktion, Handel etc. – ist es gelungen, sich bedeckt zu halten. Wir verbringen heute einen erheblichen Zeitraum unseres Lebens – Schule und Ausbildung, Medienkonsum etc. – damit, uns mit fremden Vorstellungswelten vertraut zu machen. Unsere natürliche Neugierde wird durch eine Überfrachtung mit Material zerstört, das wir uns anzueignen haben.
Artificial Design / Smart Living
Die so genannte digitale Transformation bringt demnach folgende Konsequenzen mit sich. Die Intensität virtueller Erlebnismomente hat gegenüber unmittelbaren Erfahrungen unserer Handlungsmacht in unserer konkreten Lebensumgebung abgenommen. Wir beziehen unsere Vorstellungen zunehmend aus einer künstlichen, von Menschen geschaffenen Datenwelt. Die virtuellen Optionen suggerieren uns eine wachsende Handlungs- und Steuerungsmacht. Die ganze Welt liegt, zumindest in digitaler Form, in Reichweite. Und die digitale Welt bietet uns eine Bühne, auf der wir, zumindest theoretisch, von allen gesehen werden können.
Gleichzeitig erleben wir uns zunehmend von der Wahrnehmung der Konsequenzen unseres Handelns befreit. Über virtuelle Netzwerke steuern wir jene Produktionsprozesse und Serviceangebote die dann unsichtbar irgendwo abgearbeitet werden. Was wie ein reiches Bouquet an Optionen erscheint, ist am Ende ein, im Grunde eng geschnürtes Paket personalisierter Services. Wir sollen überhaupt nicht mehr darüber nachdenken, was wir vom Leben erwarten. Wir bekommen ohnedies das Optimum der verfügbaren und für uns vorgesehenen Optionen zur Verfügung gestellt. Wir dürfen und sollen es uns bequem machen und können genießen, was uns zusteht.
Wir haben uns daran gewöhnt, dass neben unserer unmittelbaren Lebensumgebung sich eine zunehmend dichtere digitale Repräsentation möglichst aller Vorgänge entwickelt. So wie unsere eigenen neuronalen Netzte entstanden sind, um unsere Lebens- und Überlebenschancen zu verbessern, so entwickelt sich dank einer Unmengen von Sensoren und so genannter selbstlernender Systeme eine vermeintlich künstliche Intelligenz, die uns zunehmend von unserer eigenen Wahrnehmungs- und Denkleistung befreit.
Die digitale Welt stellt sich uns, trotz intensiver Vernetzung, derzeit nicht als ein homogenes Modell dar. Es erscheint uns vielmehr als eine chaotische Ansammlung unterschiedlichster Datenbestände aus diversesten Quellen. Wer auch immer behauptet, es ließen sich aus diesem Datenmeer konkrete Informationen mit »Wahrheitsanspruch« fischen, muss eingestehen, dass die Wahrscheinlichkeit irrtümlicher Schlussfolgerungen sehr hoch ist. Aus einer ständig wachsenden Anzahl von Sensoren wandern Daten in Datenbanken, werden dort eventuell vorsortiert und gewichtet um dann Anhand von Rechenmodellen nach Mustern durchsucht zu werden. Unterschiedliche Serviceagenten nutzen diese Muster um daraus Informations- oder Steuerungsangebote zu generieren. Eine KI bekommt die Konsequenzen ihrer Rechenvorgänge nicht zu spüren. Es lässt sie »kalt« welche Folgen sich in der Welt aus ihren Prozessen ergeben. Solange selbstlernende Systeme nicht auch selbst entscheiden, welche Daten ihnen für Auswertungen zur Verfügung stehen, werden sich menschliche Vorurteile auch in den Ergebnissen von Computern wiederfinden.
Wir beginnen programmierte, so genannte »intelligente« Ambiente zu schaffen. Medienwelt und reale Umwelt interferieren und verschmelzen. Es entstehen Rückkoppelungseffekte, deren Auswirkungen wir nur erahnen können. Das Zusammenwachsen von Mensch und Maschine wird auch als Befreiung von unseren körperlichen Beschränkungen angepriesen. Mensch und Werkzeug sind somit vereint. Damit wir so über uns »hinauswachsen« können, müssen wir uns jedoch lesen lassen. Wenn wir wollen, dass unsere Körperaktivitäten eigenständig unsere Lebensumgebung modifizieren, dann müssten wir selbst unsere geheimsten Regungen unter Kontrolle bringen. Es gäbe kein gedankliches Experimentieren mehr. Über jeden Wunsch, jeder Begierde und körperlicher Reaktion würden wir bereits Steuerungssignale aussenden.
Könnten wir in letzter Konsequenz uns gänzlich von unserer Körperlichkeit befreien und die in unserem Körper gespeicherten Informationen auf eine technische Maschine übertragen? Wir wären dann jedoch keine Menschen mehr. Wir würden nicht mehr sterben, aber auch nicht mehr leben. Wir wären nur ein verbesserter Roboter. Dieses Modell einer angeblich besseren Existenz beginnt unsere mentalen Modelle sukzessive zu verändern. Wir versuchen vielfach bereits alles menschliche so weit als möglich zu verdrängen. Eine fast infantile Bereitschaft sich selbst zum Spielzeug fremder Interessen zu machen, lässt sich beobachten.
Die »digitale Transformation« als Forderung
Die »digitale Transformation« ist vorwiegend ein Prozess, der sich in unseren Köpfen und Körpern abspielt. Menschen haben gelernt sich veränderten Umweltsituationen anzupassen. Nun passen wir uns allerdings jenen Veränderungen an, die wir selbst verursacht haben. Die Hoffnung auf eine allwissende Instanz wird nicht mehr in der Vorstellung einer Gottheit, sondern in der Entwicklung einer technologisch konstruierten »Singularität« gesehen. Einerseits scheint es wiederum um eine Entlastung vor der Forderung nach Eigenverantwortung und damit verbunden um eigene Denkleistungen zu gehen, und andererseits um die Konstruktion einer verlässlichen Bezugsperson, die uns umfassend observiert und daher unserem Leben und Handeln eine gewisse Bedeutung verleiht. Im Taumel der Begeisterung wird übersehen, dass eigentlich das, was uns im Leben am meisten Freude macht, seine Ursache in unserer Körperlichkeit hat.
Auch wenn auf die uns in Aussicht gestellten Perspektiven manche mit Skepsis begegnen, so ist es vielfach gelungen den Blick von anderen Realitäten abzulenken. Für nicht wenige Menschen auf unserem Planeten erscheinen unsere westlichen Sorgen jedoch als kaum nachvollziehbar. Sie kämpfen nach wie vor um ihr tägliches Überleben. Hier gebe es unendlich viel zu verändern. Vielleicht sollten wir unsere Prioritäten noch einmal überdenken. Aber besitzen wir überhaupt noch die notwendige Fähigkeit zur Differenzierung zwischen Medienbildern, die lediglich geschaffen wurden um unsere Aufmerksamkeit zu besetzen, und Ereignissen, um die wir uns kümmern sollten?